Der Charme des Unperfekten
BERLIN. Endspurt auf der Berlinale: So viele Stars wie schon lange nicht mehr bringen den 53. Filmfestspielen Glanz und Aufmerksamkeit - Dustin Hoffman und Nathalie Baye zum Beispiel oderJackie Chan.
In Berlin scheint die Sonne. Im Wettbewerb aber geht das Sterben weiter. Krankheit und Tod verbreiten Angst und Schatten. Spannende, ja radikale Filme sind dabei. Auch der Franzose Patrice Chéreau, mit "Intimacy" im vorvergangenen Jahr Gewinner des "Goldenen Bären", erzählt eine Passionsgeschichte. Thomas (Bruno Todeschini), ein Mann in den Vierzigern, ist unheilbar krank. Jeden Moment kann ihn eine weitere Attacke das Leben kosten. Sein Bruder Luc (Eric Caravaca) kümmert sich um ihn. Zuerst im Krankenhaus, später zu Hause in Paris, dann in einem Haus am Meer. Das wird nicht geradlinig erzählt, sondern in zeitlichen Sprüngen. Chéreau macht es dem Zuschauer wieder mal nicht einfach mit seiner kleinen, sehr intimen Geschichte. Gnadenlos direkt und konsequent zeigt er die Krankheit und das Leiden, die Hilflosigkeit der Ärzte, die Ohnmacht der Familie. Ein Fernseh-Star als Killer, ein Spielshow-Erfinder und Moderator mit der Lizenz zum Töten - das ist happig. George Clooney tischt uns in seinem Regiedebüt "Confessions Of A Dangerous Mind" eine wüste Geschichte auf. Sie erzählt aus dem Leben des amerikanischen Fernseh-Produzenten und Show-Moderators Chuck Barris (Sam Rockwell), der parallel zu seiner Fernseharbeit (eine perfekte Tarnung) für den CIA als Spion im Einsatz ist und über 30 Menschen tötet. Barris gibt es wirklich; er hat zum Beispiel das Original zu der Flirt-Show "Herzblatt" und die "Gong Show" erfunden. Irgendwann kriegt er dann die große Krise und schreibt seine "unautorisierte Autobiografie". Auf der basiert und damit beginnt der Film, erzählt in Rückblenden, wie sich alles zugetragen hat. Das könnte tatsächlich so gewesen sein - oder aber nur eine Fantasie eines durchgeknallten Aufschneiders. So oder so - eine mordsmäßige Story. Clooney und Drehbuchautor Charlie Kaufman ("Being John Malkovich" und Held von Spike Jonzes Wettbewerbsfilm "Adaptation") haben einen wüsten Mix daraus gemacht. Mal komisch, mal tragisch, mal zynisch. Es wird dick aufgetragen. Die Geschichte wirkt auch nicht wie aus einem Guss. Doch das Chaos hat Methode. Man kann das auch den Charme des Unperfekten nennen. Es gibt köstliche Szenen und eher alberne und aufgesetzte. Eines ist dieser Film aber allemal: mutig und konsequent. Das gilt auch für den zweiten deutschen Beitrag. "Lichter" von Hans-Christian Schmid ("Crazy", "23") ist ein Episodenfilm, der an der deutsch-polnischen Grenze bei Frankfurt/ Oder und Slubice spielt. Er zeigt an zwei Tagen und Nächten ein gutes Dutzend Menschen. Zigarettenschmuggler wie den jungen Andreas, der zum Verräter wird, den polnischen Taxifahrer Antoni, der dringend Geld für das Kommunionkleid seiner Tochter braucht, oder Ingo, den naiven Pächter eines Matratzen-Billigmarktes. Allesamt Glückssucher, die immer wieder an ihre Grenzen stoßen. Schmid arbeitet meist mit wackligen Handkamera-Bildern, die Unruhe, Getriebensein und Gefahr vermitteln. "Lichter" ist hervorragend gespielt (ein ausgezeichnetes Ensemble von August Diehl über Herbert Knaup und Maria Simon bis Julia Krynke) und wirkt über weite Strecken authentisch wie ein Dokumentarfilm. Schmid schaut genau hin, aber er (ver-) urteilt nicht. "Willkommen in der Wirklichkeit!" heißt es einmal. Das triffts. Ein preiswürdiger Film.