Der Fall Hindenburg(s)

Lange hat kein Thema die Gemüter der Trierer so erhitzt wie die Umbenennung des Hindenburg-Gymnasiums. Heftige Debatten, die inzwischen auch die überregionale Presse erreicht haben, Bündel von Leserbriefen, Anträge im Stadtrat. Die Diskussion könnte indes etwas mehr Tiefenschärfe brauchen.

Es war im Jahr 1975, als die Schülervertretung am HGT beschloss, ihre Lehranstalt möge statt Hindenburg-Gymnasium künftig Karl-Marx-Gymnasium heißen. Der Schülersprecher wanderte brav zum Direktor, wo sein Anliegen freundlich belächelt wurde. Im Unterricht gab es ein paar heftige Zusammenstöße mit Lehrern der älteren Generation, die sich von dem Vorschlag persönlich b eleidigt fühlten - immerhin hing der "Held von Tannenberg" damals noch überlebensgroß und in vollem Wichs im Lehrerzimmer, und mancher der betagten Pädagogen empfand sich als gefühlter Mit-Kämpfer. Mangels Resonanz wanderte der Schülersprecher dann weiter zur lokalen Tageszeitung, wo ihm bedeutet wurde, für derart absurde Ansinnen sei der kostbare Platz auf den Lokalseiten zu schade. Erstaunlich radikaler Pragmatismus

33 Jahre später schreibt der junge Mann von einst Leitartikel in eben jener Zeitung. Eigentlich müsste ihm das Herz aufgehen angesichts der Realisierung zumindest der ersten Hälfte seines alten Anliegens. Zumal vor der Ironie des Schicksals, dass die Initiative ausgerechnet von der CDU ausging, die entsprechende Ideen damals als Ausgeburt der Hirne vaterlandsloser Gesellen gebrandmarkt hatte. Und doch will sich kein Gefühl der Zufriedenheit einstellen. Das liegt weniger am Ergebnis der Diskussion als an der Art seines Zustandekommens. Zwei Minuten hat das Lehrer-Kollegium beraten, bevor man sich mit breiter Mehrheit verständigte, den Namen und damit einen wesentlichen Teil der gewachsenen Geschichte der Schule ad acta zu legen. Eine erstaunliche Form von Pragmatismus, ähnlich radikal wie bei der Begründung der CDU für die Namensänderung: Nein, man habe keine Probleme mit Hindenburg, aber der Name sei nicht zeitgemäß, gebe die Ausrichtung der Schule nicht mehr wieder und irritiere womöglich Partner im Ausland.Was ist mit Auguste Viktoria und Friedrich Wilhelm?

Das ist denn doch eine Argumentation, die in ihrer Leichtfertigkeit erschreckt. Mit solcher Logik könnte man nahezu jeden historischen Namen von Einrichtungen eliminieren. Auguste Viktoria und Friedrich Wilhelm stehen genau sowenig für die aktuelle Ausrichtung ihrer Schulen. Ausrichtungen, die sich übrigens ändern können. Sollen die Namen dann jeweils angepasst werden? Und ist es nicht billig, Irritationen mit Nachbarn (sofern sie nicht eh eingebildet sind) dadurch aus dem Weg zu räumen, dass man mal eben aus der eigenen Geschichte aussteigt, wenn es unbequem wird? Das wäre zu einfach. Jedenfalls bei einer komplexen Angelegenheit wie der Namensgebung einer öffentlichen Institution. Sie spiegelt unweigerlich einen bestimmten Zeitgeist wider, was spätere Generationen oft zu Auseinandersetzungen zwingt. Und das ist gut so. Aber was tun, wenn ein Namensgeber sich aus Sicht der Nachgeborenen quasi historisch disqualifiziert hat?Verbrecher gehören nicht aufs Namensschild

In einem Punkt lässt sich, jedenfalls vordergründig, schnell Konsens herstellen: Verbrecher gehören nicht aufs Namensschild. Aber schon bei der Frage, wer denn ein Verbrecher ist, landet man schnell in der Bredouille. Konstantin der Große wäre als Meuchelmörder seiner Familie heutzutage ein Fall fürs Trierer Landgericht, Angriffskrieger Napoleon müsste sich vor dem Haager UN-Kriegsverbrechertribunal verantworten. Dumm für die Konstantin-Schule und die Napoleons-Brücke. Die Sache ist also noch komplizierter. Selbst objektive Verbrecher können im sich wandelnden Bild der Geschichte zu Helden mutieren. Aber wo steht da Paul von Hindenburg? Er war einer, der vielleicht die historische Chance gehabt hätte, den Hitler-Wahnsinn aufzuhalten. Wenn er weitsichtiger und mutiger gewesen wäre, wenn er die Nazis nicht für die kleinere Gefahr gehalten hätte, kurz: wenn er anders gewesen wäre als die Mehrheit seiner Landsleute. Aber als Verbrecher, dessen Funktion als Namensgeber heute gänzlich unerträglich wäre, kann man ihn schwerlich einstufen.Vorbilder sind Ausdruck des Zeitgeistes

Und wie ist es mit der vielfach angeführten Vorbild-Funktion? Anno 2008 käme gottlob niemand außer ein paar ewigen Reaktionären auf die Idee, jemanden, der in der Situation militärischer Unterlegenheit eine überraschend hohe Anzahl von Gegnern massakriert, darob Vorbild-Charakter zuzubilligen. Aber, und da liegt das Problem, genau das war 1917 anders. Die Idolisierung des Feldmarschalls war Ausdruck einer Epoche. Man muss vor diesem Hintergrund sehr genau abwägen, ob die Eliminierung des Namens eher Klärung oder eher Klitterung bedeutet. Es geht um den Umgang mit Geschichte. Das sollte gerade bei einem Gymnasium eine Debatte wert sein, die auf einem angemessenen Niveau geführt wird. Mal eben schnell den Namen tauschen, am besten so, dass man nicht einmal das "H" wechseln muss: Das würde dem Thema allemal nicht gerecht. Dieter Lintz

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