Der Hirsch röhrt nach 2007 weiter

Zunächst sah es nach Niederschlägen aus, aber dann gab es doch noch eine rauschende Party: Vor und hinter den Kulissen dominierten beim Herbstfest der Kulturhauptstadt strahlende Gesichter. Tausende tanzten auf den Straßen und Plätzen, und die Kulturminister der Großregion stellten die Weichen für eine Fortsetzung der Erfolgsstory.

 Brasilianische Straßenband beim Herbstfest der Kulturhauptstadt auf der Place Guillaume. TV-Foto: Dieter Lintz

Brasilianische Straßenband beim Herbstfest der Kulturhauptstadt auf der Place Guillaume. TV-Foto: Dieter Lintz

Luxemburg. Octavie Modert ist nicht Angela Merkel, trotz der gemeinsamen Vorliebe für Hosenanzüge. Aber ein bisschen erinnert die Luxemburger Kulturministerin bei der Pressekonferenz nach dem von ihr initiierten Gipfeltreffen der großregionalen Kulturminister an die Kanzlerin bei der G8-Konferenz in Heiligendamm. Denn auch sie kann einen in dieser Form nicht unbedingt erwarteten Durchbruch vermelden. Der eigens für die Kulturhauptstadt gegründete Verein wird auch nach 2007 bestehen bleiben und ein Koordinations-Sekretariat für grenzüberschreitende Projekte unterhalten. Der blaue Hirsch soll als allseits bekanntes Signet erhalten werden, ebenso wie die regionalen Koordinationen vor Ort. Die Kulturminister wollen sich künftig regelmäßig treffen und Schwerpunkte einer gemeinsamen Kulturpolitik festlegen. Als zentrales Kommunikationsinstrument soll die Internet-Plattform "plurio.net" dienen. Für Trier dürfte das konkret bedeuten, dass die Anlaufstelle beim städtischen Kulturbüro erhalten bleibt. Allerdings gilt auch weiterhin das Prinzip der "Territorialität", will heißen: Finanzieren muss jede Partnerregion, ob Lothringen, Luxemburg, Rheinland-Pfalz, Saarland oder Ostbelgien, ihre Projekte selbst. Wie es mit den dafür erforderlichen Budgets aussieht, kann derzeit noch niemand sagen. Ohnehin muss der Gipfel der Ministerpräsidenten das Konzept im Januar noch endgültig absegnen - was aber als sehr wahrscheinlich gilt.So herrscht denn auch überwiegend Sonnenschein beim anschließenden Treffen der Politiker mit den Kultur-Machern im lichtlosen Studio des Grand Théatre. Viele werben schon engagiert für neue Projekte, wie der Trierer Theater-Intendant Gerhard Weber. Andere mahnen, die grenzüberschreitende Kultur dürfe nicht bürokratisiert werden. Aber unterm Strich ist doch deutliche Erleichterung spürbar, dass es weitergehen soll. Und Octavie Modert, die noch vor zwei Jahren als hypernervöse Jungpolitikerin ihre erste internationale Kulturhauptstadt-Pressekonferenz bestritt, lächelt zufrieden und versprüht staatsmännische Souveränität. Während die Profis noch über Kultur theoretisieren, hat auf den Plätzen der Stadt längst die Party begonnen. Luxemburg und die Großregion verwandeln sich einen Tag lang in die Welthauptstadt der "World Music". So pflegt man in Mitteleuropa alles zu nennen, was nicht zum in den USA und Europa produzierten musikalischen Mainstream gehört: Musik aus Afrika, Südamerika, Osteuropa, Australien, Asien, kurzum: aus 90 Prozent der Welt.Wie innovativ, frisch, modern und qualitativ hochstehend diese Musik ist, zeigt schon ein kleiner Rundgang. Im kleinen, in rot-gelbes Licht getauchten Pavillon auf der "Place d'armes" bringt gerade die "Gangbé Brass Band" aus Benin das Publikum zum Kochen - trotz des anhaltenden Nieselregens. Fünf mordsmäßige Bläser und eine zweiköpfige Rhythmus-Combo, die einen solchen Afro-Jazz-Mix hinlegen, dass niemand Arme und Beine stillhalten kann. Weiter durch die schmale Rathaus-Passage, deren appetitliche Auslagen-Kombination aus Fisch, Pralinen, Käse und Wein heute die größten Besucherströme verkraften muss, zur Place Guillaume II. Dort singt, springt, tanzt und tobt gerade ein Irrwisch namens Dobet Gnahoré über die Bühne. Die Sängerin von der Elfenbeinküste hat eine Ausstrahlung, mit der kaum eine anglo-amerikanische Pop-Größe mithalten kann.Ein paar hundert Meter weiter, im Kapuzinertheater, der totale Kontrast: "La Boca" aus Argentinien zelebriert im schicken Abendkleid filigrane Tango-Melancholie. Und gleich anschließend packt der Amerikaner Bob Brozman seine Instrumente aus, von Kulturhauptstadt-Chef Robert Garcia zu Recht als "einer der besten Gitarristen der Welt" gepriesen.Derweil tanzen auf der kleinen Bühne bei den Ess-Ständen auf der Place Clairefontaine sechs Mädchen in bunten Kostümen mit der Ausdauer von Marathonläufern zu afrikanischen Rhythmen. Der Duft von Spezialitäten aus Albanien, der Bretagne oder den Kapverden mischt sich mit der klaren Luft, die der inzwischen abgeebbte Regen hinterlässt. Eine Stadt und eine Region feiern, und Zehntausende feiern bis weit nach Mitternacht mit. Meinung Chapeau! Hut ab vor den Kulturpolitikern der Großregion. Beflügelt vom Erfolg der Kulturhauptstadt, haben sie eine Vorreiterrolle übernommen. Es wurde auch Zeit dafür. Wenn die Großregion im Herzen Europas zusammenwachsen und nicht -wuchern soll, braucht die grenzüberschreitende Kooperation, die auf politischer und ökonomischer Ebene unaufhaltsam fortschreitet, ein kulturelles Fundament. Damit die Gemeinsamkeit nicht bei Arbeitsplätzen, Auftragsvergaben und Einkaufstouren stehen bleibt. Der gewählte Ansatz ist richtig: Mehr als unverbindliche Absichtserklärungen, aber keine neue Bürokratie. Eine "schlanke Struktur", wie es die Luxemburger Kulturchefin Octavie Modert formuliert hat. Freilich wird eine Struktur alleine nichts nützen, wenn ihr keine Mittel zur Verfügung stehen. Natürlich ist nicht jedes Jahr Kulturhauptstadt, aber ganz ohne Moos bleibt Kultur eben doch brotlose Kunst. Das heißt auch für Trier und Rheinland-Pfalz: Man wird sich etwas einfallen lassen müssen. Wobei die Stadt, die in Sachen Kulturhauptstadt eine vorbildliche Arbeit geleistet hat, auf exzellent funktionierende Strukturen zurückgreifen kann. Das Land sollte überlegen, ob es sich nicht andockt. Oder wie es sonst die Zuständigkeit ortsnah regelt, ohne ministerialbürokratische Umwege. Denn die Einbindung der Landkreise, für die Mainz zuständig ist, war bislang unbefriedigend. d.lintz@volksfreund.de

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