Der Mörder ist immer der Gärtner

Die älteren Fernsehzuschauer werden sich womöglich noch an Wolfgang Neuss erinnern. Das war ein Spaßvogel, der in den 60er Jahren fast gelyncht wurde, weil er den Mörder des ARD-Straßenfegers "Das Halstuch" einen Tag vor Ausstrahlung durch Zeitungsanzeigen verriet.Neuss ist lange tot, aber beim sonntäglichen "Tatort" oder beim freitäglichen "Alten" erfreue ich meine Mit-Zuschauer regelmäßig nach der Hälfte der Sendezeit mit einer verlässlichen Prognose, wer sich am Ende als Schuft entpuppt.Der rächende Vater im Gammelfleisch-Tatort am letzten Sonntag, die betrogene Arztgattin tags drauf im ZDF-Montagskrimi: Ich überführe sie alle, zu einem Zeitpunkt, wo die großen Fernseh-Detektive noch gnadenlos im Dunkeln tappern.Leider liegt das weniger an meinem kriminalistischen Spürsinn als an dem Umstand, dass ein erfahrener Krimi-Zuschauer aus der ewig gleich gestrickten Dramaturgie mit etwas Geschick alles ahnen kann.

Wer zum Beispiel in den ersten 30 Minuten als zwielichtiger Tatverdächtiger alles Misstrauen auf sich zieht, ist nie der Täter. Dagegen hat größte Chancen auf die finale Verhaftung, wer anfangs als derart harmlose Nebenfigur eingeführt wird, dass sein Dasein gar keinen anderen Sinn haben kann als die spätere Entlarvung.

Ein wichtiges Indiz ist auch die Übernahme scheinbar unbedeutender Rollen durch einen allseits bekannten Darsteller. Wenn ein Grimme-Preisträger in der ersten Tatort-Hälfte nur drei Minuten auftritt, dann ist er der Täter. Verliebt sich gar ein Kommissar in eine zunächst unverdächtige Zeugin, ist sie am Ende entweder tot oder hat das Verbrechen selbst begangen.

Eigentlich könnte man den Krimi zur Halbzeit abschalten und was Vernünftiges machen. Aber irgendwie will man dann doch das schöne Gefühl genießen, dass man recht behalten hat. Und genau damit kalkuliert wahrscheinlich der Autor. Dieter Lintz

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