Der "Meister" lässt die Lichter brennen
TRIER. Es gibt Dinge, die sich ein sachlich und nüchtern denkender Verstand nicht erklären kann. Die Beschaffenheit schwarzer Löcher. Die unglaubliche Kunstfertigkeit bei der Erschaffung der Pyramiden von Gizeh. Kaiserpinguine, die in der Antarktis monatelang ohne Nahrung bei minus 50 Grad überleben. Das Weihnachtskonzert von Guildo Horn.
Samstagabend, 23. Dezember, kurz vor 20 Uhr in der Trierer Europahalle: Jeder weiß, was gleich geschehen wird. Jeder der zahllos scheinenden Hornisten, Hornitologen, Hornkundigen. Sie alle waren schon einmal oder mehrmals dort, wo sie auch heute stehen, und doch hat man den Eindruck, dass sie an diesem Tag die verqualmte und voll gestopfte Europahalle mit keinem Ort der Welt tauschen wollten.Vom ersten Ton an wackeln die Wände
Auch nicht mit einem Palmenstrand, an dem die Pussycat Dolls (für Damen: Daniel Craig und Johnny Depp) leichte Drinks servieren. Sie alle wollen Horn, nichts anderes.
Die Massen sind bereits in Hochstimmung, obwohl der Vorhang immer noch unten ist und zur Einstimmung ein vom Band stammender Knabenchor ein berühmtes Weihnachtslied intoniert. Einige TANZEN zu diesem Knabenchor. Der Gebrauch von Großbuchstaben ist kein Druckfehler, sondern ein Stilmittel zum Ausdrücken höchster Verwunderung. Sie TANZEN. Aus purer Vorfreude auf den "Meister".
Dann hebt sich der Vorhang, und die gängigen Regeln des Showbusiness schließen sich dem sachlich und nüchtern denkenden Verstand an und verziehen sich schmollend in eine Ecke. Guildo Horn und seine orthopädischen Strümpfe, dieses Mal ergänzt durch die aus Saarbrücken stammende Blaszentrale Dessau, brauchen keine Vorgruppe, keine Anheizer. Sie brauchen auch keine ausgeklügelte Strategie, mit der das eher ruhige Trierer Publikum so langsam dazu gebracht werden soll, aus sich herauszugehen. Vom ersten Ton an wackeln die Wände. Derart pure Begeisterung ist selten, in Trier hat sie am 23. Dezember Tradition.
Mögen Sie Johnny Cash denn so gern, möchte man den Herrn fragen, der begeistert die "Weihnachtsfeier" zur Melodie von "Ring of Fire" mitgröhlt. Stehen Sie auf Village People, könnte man den riesigen Biker fragen, der "Es weihnachtet sehr" frei nach Y.M.C.A. schmettert. Nein, diese Frage sparen wir uns besser, der Herr könnte sie falsch verstehen. Die Sachlage ist auch so klar: An normalen Tagen würden manche die Titel, die sie hier bis zur Ekstase brüllen, noch nicht einmal im Autoradio dulden - geschweige denn mitsingen. Doch wenn Guildo sie singt, werden sie Kult. Man kann es nicht erklären, man muss und sollte es erleben.
"Wunder gibt es immer wieder", "Azurro", "17 Jahr, blondes Haar" (Wie lange sind Sie eigentlich schon ein Fan von Udo Jürgens?) - der "Meister" hat 2006 das schönste Weihnachtskonzert seit Jahren versprochen, und er hält Wort. Es ist schließlich in diesem Jahr auch der einzige Live-Auftritt in seiner Heimatstadt. Bis zur Erschöpfung geben Musiker und Publikum alles. Man trifft Guildo anschließend im "Piranha" und denkt: Hoffentlich kommt er 2007 zum Altstadtfest.