Der leise Abschied der alten Dame

Im Programmheft für die kommende Spielzeit steht sie wie eh und je. Doch Verena Rhyn wird das Trierer Theaterpublikum nicht mehr begeistern. Nach einer schweren Erkrankung hat sie sich kurzfristig entschlossen, vorzeitig in Ruhestand zu gehen. Eine Entscheidung, an der sie mächtig zu knabbern hat.

 Das private Gesicht einer großen Schauspielerin, entstanden, als Verena Rhyn die Trierer „Theatermaske“ erhielt. Archiv-Foto: Theater

Das private Gesicht einer großen Schauspielerin, entstanden, als Verena Rhyn die Trierer „Theatermaske“ erhielt. Archiv-Foto: Theater

Trier. Etwas hagerer ist sie geworden, und die letzten Monate haben ein paar Fältchen um den Mund gegraben. "Nehmen Sie lieber ein älteres Foto", sagt Verena Rhyn. Dabei lässt nichts in ihrer Ausstrahlung vermuten, dass sie schon 63 sein könnte. Mitten in der Aufführungsserie von "Nathan der Weise" hat die Krebs-Diagnose sie erwischt. Zum Glück ist die Operation weniger gravierend ausgefallen als befürchtet, und die Chemo-Therapie blieb ihr erspart. "Der Krebs lässt mich in Ruhe", resümiert sie den aktuellen Stand. Aber die Ärzte haben ihr auch gesagt, dass Stress kontraproduktiv sein kann. Und da hat Verena Rhyn sich "mit blutendem Herzen", wie sie es selbst formuliert, entschlossen, aufzuhören. Nun sitzt sie da bei einem Capuccino im Astarix und wirkt, als würde ihr die Tragweite ihrer Entscheidung erst jetzt so langsam bewusst. Gerade hat sie ihren Spind im Theater ausgeräumt, nach 27 Jahren. Sie hat gewartet bis zu den Theaterferien, um nicht zu viele Bekannte zu treffen. "Ich habe doch nie im Leben an die Rente gedacht", sagt sie leise, "das ist vielleicht ein komisches Gefühl, wenn man da seine Unterlagen zusammensucht". Gerade ist sie am Spielzeit-Plakat vorbeigekommen. ",Eines langes Tages Reise in die Nacht', das wäre schon eine tolle Rolle gewesen". Tolle Rollen hat sie seit 1981 in Trier reichlich gespielt. Damals holte Intendant Rudolf Stromberg sie von Wilhelmshaven an die Mosel. Stromberg, der klassische Prinzipal alten Stils, war ein Theaterleiter nach ihrem Geschmack. Verena Rhyn macht keinen Hehl daraus, dass seine Nachfolger bei ihr keine vergleichbaren Sympathie-Werte erwerben konnten. Begonnen hat alles mit einer Nebenrolle im "Hauptmann von Köpenick". Es folgten weit über 100 Partien, große und kleine, wichtige und weniger wichtige. Manchmal ertappt sich Verena Rhyn dabei, dass sie das eine oder andere Stück ganz vergessen hat. Nein, auch die großen Rollen gingen ihr persönlich nicht nach, behauptet sie. Das Erarbeiten der Figur sei das Entscheidende, und damit sei die Sache abgehakt.Dem Publikum ging es oft anders. Ob sie die Diva Maria Callas verkörperte, als weiblicher Mephisto elegant über die Bühne glitt, mit der Krankenschwester Annie in "Misery" ihre teuflischen Seiten zelebrieren durfte oder durch die mitleidslose Strenge der Bernarda Alba das Publikum frösteln machte: Das hinterließ Spuren über den Theaterabend hinaus. Eine Darstellerin im bedingungslosen Dienst der Rolle, verwandlungsfähig, nie sich selbst spielend, wie es so viele Schauspieler tun. Und dann die "Alte Dame" Claire Zachanassian, die sie kurzfristig übernahm, als der Gast, den man ihr vor die Nase gesetzt hatte, ausfiel. Viele Kollegen hätten ihr abgeraten, als "zweite Wahl" einzuspringen, erzählt sie rückblickend. "Wie könnte ich das, bei dieser Rolle?", fragt Verena Rhyn rhetorisch. Es wurde der größte Triumph ihrer an Erfolgen wahrlich nicht armen Trierer Zeit.Jetzt heißt es umdenken, nach insgesamt fast 40 Bühnen-Jahren. "Ich habe viel Zeit zum Nachdenken über mich und mein Leben", sinniert sie. Eine wichtige Entscheidung ist schon gefallen: Sie wird einstweilen weiter in Trier wohnen. Es bleibt also bei der Teilzeit-Ehe, die sie seit zwei Jahrzehnten mit ihrem Mann in Norddeutschland führt. Ohne die Mosel und die Berge drumherum kommt sie nicht aus, jedenfalls bis auf weiteres. Über eine Rückkehr in ihre Schweizer Heimat hat sie auch nachgedacht, aber momentan ist das keine Alternative. Und wenn in den Süden, dann zu einem ausgedehnten Italien-Urlaub. Lesen, Radfahren, ein Fitness-Center suchen und endlich wieder ihrem Hobby, der Malerei, nachgehen: Das steht auf der Agenda. Aber gerade das Malen fällt ihr nach den großen Einschnitten in ihrem Leben derzeit schwer. "Ich bin im Moment ein Mensch auf der Suche", sagt Verena Rhyn. Einerseits ist sie froh, dass der ewige Stress mit dem Lampenfieber ein Ende hat. Andererseits fürchtet sie die Erkenntnis, "dass mir auffällt, wie alt ich eigentlich bin". Angesichts der Arbeit mit den immer wieder wechselnden jungen Kollegen "hat man das ja nie gemerkt". Bleibt die Frage, wie endgültig der Abschied ist. Schließlich hat man andere Ensemble-Pensionäre schon öfter als Gäste wiedergesehen. "Nein", kommt es hinter dem Cappucino zurück, "ich will klare Verhältnisse". Und dann, leise: "Jedenfalls erst mal". Ein bisschen Hoffnung bleibt also. Auch wenn sich Verena Rhyn darauf einrichten muss, dass ihre nie gespielte Lieblingsrolle, die "Irre von Chaillot", vielleicht ein ewiger Wunschtraum bleibt.

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