Die Aura des Authentischen

LUXEMBURG. Sein Ruf als Musiker ist legendär, und er ist kein leeres Versprechen. In der Luxemburger Philharmonie musizierte Kurt Masur mit dem "Orchestre National de France" Tschaikowsky in exemplarischer Interpretation. Das Konzert war eine Sternstunde.

Der Anfang von Peter Tschaikowskys berühmtem b-Moll-Klavierkonzert liefert den Stoff, aus dem die Filmmusiken sind. Er ist illustrativ und gefühlsschwanger, und es verführt den Pianisten, zum schwerblütigen Orchesterklang breit und klangsatt in die Tasten zu greifen. Nicolai Lugansky macht es anders. Sein Einstieg, dann seine erste große Kadenz haben Klang und Tiefe, aber sie bleiben frei von allem Dicken und Schwülstigen. Kein Tschaikowsky der dumpfen Gefühle, sondern einer hellwachen künstlerischen Sensibilität. Und am Dirigierpult vor dem "Orchestre National de France", fast verdeckt vom aufgeklappten Flügel, waltet Kurt Masur, gibt der Einleitung und dann dem ganzen Werk Deutlichkeit und Statur. Gewiss, Nikolai Lugansky, dem jungen Pianisten aus Russland, fehlen noch die bezwingende Wucht der ganz Großen. Es fehlt die Fähigkeit, die Musik zum Körper-Erlebnis zu entwickeln. Das mag ein Manko sein. Aber Tschaikowsky selber kultiviert in diesem vielschichtigen Konzert vielfach einen anderen Stil - leicht, behend, ballettnah. Und da brilliert Lugansky. Die kantablen Partien singt er aus, schlank und doch gefühlsstark, und im langsamen Satz modelliert er leichthändig feine, blinkende Klang-Gespinste, weit entfernt von schweißtreibender Virtuosität und leerer Brillanz. Die große Kadenz gegen Ende des Kopfsatzes nimmt er ausgeprägt lyrisch, fast eine intime Kammerkomposition und sicherlich keine publikumswirksame Probe aufs pianistische Können. Dann wieder das französische Orchester unter Kurt Masur. Ein sinfonisch markanter Stil, aber ohne Bombast und bei allem Eigengewicht doch sorgfältig auf den Solisten zugeschnitten.Nichts an Masurs Dirigat ist spektakulä

r Und nach der Pause Tschaikowskys Fünfte. Ein Wunder an Interpretations-Geschlossenheit und orchestralem Glanz. Nichts an Kurt Masurs Dirigat ist spektakulär. Nichts daran sucht die Extreme. Aber alles wird auf wunderbare Weise stimmig und einleuchtend. Das einleitende Motto, das sich dann durch alle Sätze zieht - wie viele Nuancen entlocken Masur und die Bläser dieser scheinbar simplen Thematik. Das erste Horn mit seinen schwierigen, weit tragenden Melodiebögen im langsamen Satz - was für ein Reichtum an Klang- und Lautstärke-Differenzierungen! Die zahlreichen Tempoveränderungen und -nuancierungen in dieser Sinfonie - welche Sicherheit und Schlüssigkeit. Masur scheut die großen Wellentäler, die Ruhepunkte nicht. Aber trotz solcher Zäsuren zerfällt das Werk nicht. Ohne Taktstock und mit sparsamen Gesten baut Masur die große Architektur dieser Sinfonie. Es steckt etwas Sicheres, Selbstverständliches, Unbefragbares in dieser Art zu dirigieren. Eine Aura des Authentischen, des Unverwechselbaren, des Persönlichen strahlt von Kurt Masur aus und mit ihr die Kunst, Klanggestalten so zu formen, dass sie alles Beiläufige verlieren. Und das französische Orchester entwickelt eine Präzision, eine Prägnanz und, vor allem im Finale, eine Beweglichkeit, die staunen machen. In der voll besetzten Luxemburger Philharmonie brach ein Jubel sondergleichen los.

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