Die Jahrhundertkatastrophe: Eine Collage des Schreckens

Trier · Wie konnte sich vor 100 Jahren aus einer politischen Krise ein Krieg entwickeln? Und wie hat dieses Ereignis die Menschen in Trier berührt? Diesen Fragen spürt das Theater Trier in zwei Produktionen nach, die am Sonntag, 26. Oktober, im Großen Haus aufgeführt werden. Sie sind Teil einer umfangreichen Veranstaltungsreihe zum Ersten Weltkrieg.

Trier. Der Hundertjährige, der aus den Schützengräben steigt und grausame Erinnerungen weckt - der Erste Weltkrieg ist omnipräsent: in Bildern, Büchern, Broschüren. Weniger in persönlichen Reminiszenzen, denn die Schar der noch lebenden Augenzeugen ist überschaubar. Also muss man sich auf die Quellen verlassen, die massenhaft vorhanden sind.
Die hat man im Theater Trier nun gesichtet, ausgewertet, ausgewählt und arrangiert zu einem zweiteiligen Theaterabend: "Wahnsinn wäscht die Hände - Europa macht mobil" heißt es im ersten Teil, den Intendant Gerhard Weber inszeniert. Und es wird groß Geschichte aufgefahren: Auf der Personenliste stehen Wilhelm II., Hellmuth von Moltke, Franz Joseph I. von Österreich, Zar Nikolaus II., Sir Winston Churchill …
Nein, man wolle keinen Volkshochschulkurs auf die Bühne bringen, versichert Weber; die Quellen, die er mit Musikdramaturg Peter Larsen und Studenten des Fachs Neuere Geschichte an der Universität Trier gesammelt hat, werden in Spielszenen verdichtet, die mit der Lektüre von Bulletins und Briefen abwechseln - vorgelesen von dem bekannten Film- und Theaterschauspieler Michael Mendl. Die gekrönten Häupter und Diplomaten versichern sich darin ihrer gegenseitigen Hochachtung - ehe ihre Völker beginnen, aufeinander zu schießen.
Auch Trier als grenznahe Stadt war damals Ziel zahlreicher Angriffe, aber auch wichtiger Lazarettstandort zur Versorgung Verwundeter. Kein Wunder, dass sich die lokalen Kulturinstitutionen an der Gedenkarbeit beteiligen wollen. Das Theater plante laut Weber zunächst ein Kooperationsprojekt mit französischen Bühnen: "Wir haben überall angeklopft, sind aber leider auf Granit gestoßen."
Deshalb entschied man sich für einen anderen Weg: Das Ergebnis ist eine Konzeptreihe zum Ersten Weltkrieg mit dem Titel "Gott mit uns?". Bis Februar 2015 beteiligen sich daran rund zehn weitere Institutionen und drei Trierer Schulen mit eigenen Veranstaltungen (siehe Extra). Das Theater hat die Koordination übernommen, finanzielle Unterstützung kommt vom Land.
Im Zentrum der Theaterarbeit stehen zwei umfangreiche Rechercheprojekte, die am Sonntag, 26. Oktober, 19.30 Uhr, im Großen Haus auf die Bühne gebracht werden. Zwei Fragen waren dabei Ausgangspunkt der Recherchen: Was passierte damals in Trier? Und auf politischer Ebene: Wie wurde 1914 aus der Krise nach dem Attentat auf Österreichs Thronfolger ein Krieg?
In mehr als sechs Monaten intensiver Zusammenarbeit mit rund 30 Studierenden der Universität Trier entstand neben "Wahnsinn wäscht die Hände - Europa macht mobil" das Stück "Aufmarsch Trier - So bitte ich Sie, auch meiner zu gedenken" von Peter Oppermann und Steffen Lars Popp. "Wir wollten aus Versatzstücken der Gegenwart einen Bezug zu Trier während der Kriegszeit herstellen", erläutert Triers Chefdramaturg Oppermann die Grundidee.
Auslöser sei ein Vorfall im Herbst 2013 gewesen, als unbekannte Finder die Knochen dreier Toter aus dem Ersten Weltkrieg vor dem Trierer Büro der Deutschen Kriegsgräberfürsorge ablegten. In der Folge habe er mit den Studierenden das Stadtarchiv nach Dokumenten zum Krieg durchforstet. Aus vielfältigen Quellen wie Schüleraufsätzen, Feldbriefen, Erinnerungen eines Trierer Taxifahrers an Verdun oder Tagebuchaufzeichnungen eines Priesters sei ein "Patchwork unterschiedlicher Assoziationen" entstanden, das mitten im Zuschauerraum in Szenen umgesetzt werde.
"Krieg eins zu eins auf die Bühne bringen geht nicht. Wir wollten ein Gefühl dafür entwickeln, was die Menschen in Trier bewegt haben könnte", sagt Oppermann. Man habe sich bewusst für ein regionales Rechercheprojekt und gegen eine Inszenierung vorhandener Literatur entschieden: "Wir wollten in der letzten Spielzeit der Ära Weber noch mal einen Akzent setzen." Das Projekt sei "für die Region einzigartig", "enorm wichtig" der Austausch mit den Studierenden: "Wir führen junge Menschen ans Theater heran."

Beide Stücke werden hinterein-ander gezeigt, von Darstellern des Theaters. Das gesammelte Recherchematerial soll auszugsweise in einem 70-seitigen Programmbuch zugänglich gemacht werden. Trotz des enormen Aufwands sind bisher nur zwei Aufführungen geplant - die zweite richtet sich an Schüler (10. November, 11 Uhr). Intendant Weber hätte nichts gegen Folgetermine: "Es ist ein aufwendiges Projekt, das wir zusätzlich zum Spielzeitprogramm stemmen. Wir schieben gerne Aufführungen nach."

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