Die Kunst des Blau-Machens

LUXEMBURG. Wenn aus einer "normalen" kleinen Landeshauptstadt die offizielle Kultur-Metropole wird: Der Trierische Volksfreund hat am Samstagnachmittag Impressionen in der Luxemburger Innenstadt gesammelt. Die Farbe Blau macht dabei den Unterschied.

Samstagnachmittag auf dem Luxemburger Hauptbahnhof. Ein junger Mann verteilt Programmheftchen zum Eröffnungsfest. In der Tourist-Information im Bahnhofsgebäude herrscht Ruhe. Als eine der ersten Veranstaltungen wird die Vorstellung des Zirkus' "Manege" um 16 Uhr auf dem Glacis gelistet. Aber das ist nicht wirklich ein Auftakt. Die Show gastiert schon seit ein paar Tagen auf dem Platz. Noch läuft das Vorprogramm zur Kultur, das Warm-Up, auch wenn die festlichen Eröffnungs-Reden schon verhallt sind. In der Luxemburger Innenstadt regieren noch die ausgebeulten Einkaufstüten und der Adventsstress. Auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Place d'Armes singt ein Frauen-Chor, ernste Mienen vor dem Glühwein-Nebel. Ein paar Meter weiter kurbelt eine junge Frau im Weihnachtsmann-Kostüm an der Drehorgel. In der Mitte thront eine riesige Disko-Edeltanne, blinkend in den Luxemburger Landesfarben rot, weiß, blau. Gleich um die Ecke, vor dem Rathaus, gemahnen hölzerne, springende Wand-Hirsche: Die Kultur kommt noch, keine Sorge. Die Erkennungssymbole im Jägermeister-Look prangen überall, auf hunderten Schildern am Straßenrand. Und so langsam zeigt sich in den Straßen der Stadt, dass sich dahinter mehr als nur ein gutes Marketing verbirgt. Luxemburg ist an diesem Tag anders als alle anderen Vorweihnachtszeit-Städte. Noch vor dem Sirenen-Auftakt um 18 Uhr. Mit der Dämmerung erwacht die Hauptstadt. Zuerst nicht durch ihre Klänge, sondern durch ihr Licht. Blau regiert. Kein kaltes Blau, aber ein mysteriöses, mit einem Hauch von Science-Fiction. Überall Blau: In den Lampen in der Avenue de la Gare. Auf dem Übergang vom Bahnhof zu den ebenfalls blau schimmernden Rotunden. Dort gibt es erste Geschenke für die Passanten: Helfer verteilen Wollhandschuhe - natürlich blau - mit Hirsch-Logo. Es passt. Nicht nur farblich, sondern auch, weil der Winter langsam in die Glieder fährt. Kurz nach 18 Uhr. Auf dem Bahnhofsvorplatz wird es enger. Orange Lautsprecher im Megaphon-Look bringen Schallwellen hervor, die man mit geschlossenen Augen kaum einordnen kann. Auf der kleinen Bühne steht der Luxemburger Cellist André Mergenthaler, zu hören gibt es eine bizarre Mischung aus Sirenen-Sounds und Cello-Loops. Eine französische Schulklasse tobt währenddessen herum, ein vielleicht Zwölfjähriger imitiert die Sirenen-Laute. "Pssssssst", echauffiert sich eine ältere Luxemburgerin. Das Kulturjahr hat eben begonnen. Zuerst im eigenen Licht, dann in seinen Tönen, die für "normale" Ohren zumindest gewöhnungsbedürftig sind. Aber mit Mainstream erobert man auch kein Kulturjahr.

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