Die Liebe ist ein seltsames Spiel

Diesmal keine Welt-Philosophie, sondern "nur" die Liebe: Das Tanz Theater Trier widmet sich in seiner neuen Produktion einer ganz alltäglichen Beziehungsgeschichte, illustriert von Barockmusik und Klavier-Improvisationen. Und doch landet Choreograf Sven Grützmacher nie in seichten Gewässern.

 Liebes-Schmerzen: Hannah Ma (links) kämpft um David Scherzer (mit Natalia Grinyuk). Steffen Goths Bühne kommt mit minimaler Ausstattung aus. TV-Foto: Friedemann Vetter

Liebes-Schmerzen: Hannah Ma (links) kämpft um David Scherzer (mit Natalia Grinyuk). Steffen Goths Bühne kommt mit minimaler Ausstattung aus. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Doch, man kennt das. Auch wenn es schon ein paar Jahre zurück liegt. Vielleicht war's im Freibad. Oder an der Bushaltestelle. Die pubertären Jungs, die vor den Mädels schaulaufen. Die Mädchen, mal scheu, mal wagemutig ihre Reize ausprobierend. Die formierten Geschlechter-Cliquen bröseln auseinander, erste Pärchen finden sich. Man tastet sich vor, schreckt zurück, versucht es erneut, findet sich.Sven Grützmacher und seine immer mehr zusammenwachsende Kompanie brauchen keine fünf Minuten, um eine Szenerie zu kreieren, die das Publikum einfängt. Es sind einfache, schöne, packende Bilder. So spielerisch wie die unbeschwerte Lebenslust sind auch die farbenfrohen Kostüme und die Musik der Bach-Söhne Carl Philipp Emanuel und Wilhelm Friedemann, vor allem aber die des italienischen Barock-Komponisten Pietro Antonio Locatelli.

Wir lernen die Protagonisten kennen, Hanna Ma und David Scherzer, die sich ganz allmählich aus ihren Gruppen herausschälen. Sie umkreisen sich, finden in die Gemeinsamkeit hinein, entdecken zusammen Grützmachers beredtes Bewegungs-Repertoire. Das sind poetische Posen, fast wie mit dem Weichzeichner skizziert, eher körperlos und abseits jeder Drastik - und dadurch schon fast konventionell wirkend.

Die Idylle hält nicht lange. Nach der ersten Liebesnacht schaut er sich erstmal in anderen Revieren um, und sie, wiewohl tief betrübt, sucht sich schon aus Gründen der Revanche einen neuen Beau. Doch irgendwas muss da sein, was sie zusammenhält.

Aber die eigentliche Prüfung kommt erst, nachdem man sich wieder zusammengerauft hat. Der Alltag hält Einzug, die graublau gekleidete Schweigsamkeit (tolle Kostüme: Alexandra Bentele). Was rauschhaft begann, wird zum uniformierten Tagesgeschäft. Da geht auch der bis dahin hübsche Tanz-Abend plötzlich aufs Ganze, statt des munteren Barocks liefert nun Keith Jarrett mit seinen mal melancholischen, mal wütend ausbrechenden Klavier-Improvisationen den genialen Soundtrack.

Eminent mitreißender Pas de deux

Ma und Scherzer kämpfen gegen die drohende Beziehungs-Routine mit einem eminent mitreißenden Pas de deux an, einem beeindruckenden Akt der Verzweiflung und der Zerrissenheit - dem Höhepunkt des Abends. Toll, zu sehen, wie sich die jungen Trierer Tänzer weiterentwickelt haben. David Scherzer hat zu seiner imponierenden Physis enorm an darstellerischer Kraft gewonnen, Hannah Ma ist über die "Walküre" zu einer Tänzerin gewachsen, die mit ihrer Körpersprache Charaktere schaffen kann. Natalia Grinyuk und Denis Burda steuern starke Rollenporträts bei, der Rest der Truppe (Natalia Burgos Marcia, Susanne Wessel, Corinna Siewert, Reveriano Camil, René Klötzer, Zhang Zhiyong) kniet sich engagiert in die Formations-Arbeit.

In Jarretts Klang-Gewittern sieht es zwischenzeitlich düster aus für die Liebe. Aber Sven Grützmacher ist ein verkappter Romantiker. Am Ende finden seine Protagonisten die Blume aus den ersten Liebestagen wieder und wagen einen Neuanfang. Da ist noch was, tief unten, versteckt unter dem Alltags-Schutt. Und wenn man über Geduld und langen Atem verfügt, kann man es wieder entdecken.

Realistisch? Na ja. Aber man wird ja noch träumen dürfen, in Zeiten, da die Scheidungswahrscheinlichkeit für eine heute hier zu Lande geschlossene Ehe bei über 50 Prozent liegt. Das Publikum jubelte dankbar.

UMfrage

Anna Schönwälder, Trier: Der Anfang war sehr schön, erfrischend, locker. Danach haben Musik, Stimmung und Inhalt aber gewechselt. Es wurde zu anspruchsvoll. Ich habe mehr Abwechslung erwartet. Sonja Kowalewski, Wittlich: Sehr bemerkenswerte tänzerische Leistung. Mit wenig Mitteln wurde sehr viel ausgedrückt. Das gilt auch für das Bühnenbild. Besonders haften bleiben mir die dramatischen und düsteren Passagen. Carmen Rosmus, Trier: Ich bin total begeistert. Sehr emotional, spannungsvoll, einfach toll. Nicht nur einzelne Passagen, sondern das ganze Stück getragen von Harmonie. Annegret Waters, Bernkastel-Kues: Ein zauberhaftes Stück. Von Lebens- und Liebeslust bist hin zu Zerrissenheit und Verzweiflung. Empfehlenswert für alle, die eine Mußestunde erleben wollen. Umfrage und TV-Fotos: Ludwig Hoff

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort