Die Liebe mit im Gepäck

Mit Martin Walser startete am Freitagabend vor 800 Zuhörern das 8. Eifel-Literatur-Festival in Prüm (Kreis Bitburg-Prüm). 400 Menschen waren am Tag darauf in Welschbillig (Trier-Land) dabei, als er aus seinem neuen Roman "Ein liebender Mann", las. Beim größten rheinland-pfälzischen Lesefest treten bis zum 14. November 30 renommierte Autoren auf. Der Trierische Volksfreund präsentiert das Festival.

Prüm. "Er hat sich gut gehalten. Sieht gut aus. Steht in hundert Zeitungen, dass er gut aussieht. Allerdings, wie die sich begeistert wundern über sein gutes Aussehen, das ist auch krass beleidigend", denkt Goethe, aufgeschrieben von Martin Walser in seinem Buch "Ein liebender Mann". Aus dem las er am Freitagabend vor rund 800 Zuhörern beim 8. Eifel-Literatur-Festival in der Aula der Wandalbert-Hauptschule in Prüm. Und auch wenn er dieses Kompliment ebenso wenig wird leiden können wie sein Goethe: Martin Walser war an diesem Abend inspirierend, intelligent, witzig, schlagfertig und - er sah mit seinen 81 Jahren einfach gut aus. Nachdem der Prümer Verbandsbürgermeister Aloysius Söhngen und die rheinland-pfälzische Kulturministerin Doris Ahnen (SPD) Grußworte zum Auftakt des Festivals gesprochen hatten, begrüßte Festival-Initiator und Organisator Josef Zierden den "unermüdlichen Beweger". "Immer wenn Walser in die Eifel kommt, hat er die Liebe im Gepäck", sagte Zierden in Anspiel auf Walser Auftritt 2004, wo er sein Buch "Der Augenblick der Liebe" vorstellte und nun 2008 seinen neuen Roman, längst ein Bestseller, über Goethes letzte Liebe.Im Prüm erklomm er die Bühne und las eine dreiviertel Stunde stehend, gut gefedert in schwarzen Schuhen mit dicken Gummisohlen, aus seinem Roman vor. An diesem Abend wurde deutlich, was für ein begnadeter Vorleser Deutschlands bedeutendster zeitgenössischer Schriftsteller ist. Seinen Roman zu lesen, macht schon Freude. Die Geschichte über die Liebe des 73 Jahre alten Goethes zu der 19-jährigen Internatsschülerin Ulrike von Levetzow aus Walsers Mund zu hören, ist etwas ganz anderes. Sein leicht rollendes "R" verrät seine Herkunft vom Bodensee. Seine tiefe raue Stimme, dazu dezent eingesetzte Gestik, die zotteligen Augenbrauen, die sich im Takt der Sätze heben und senken, lassen Walser zu Goethe werden. Er liest, wie Goethe und Ulrike sich näher kennen lernen, wie sie ihn besucht, und er sich heimlich ausrechnet: 74 minus 19 gleich 55 - eine ungeheuerliche Zahl. Er erzählt die Episode, wo Goethe und Ulrike eine Tanzveranstaltung besuchen. Wie er, Zitat: "sie war sofort ein Teil von ihm (...), sie waren ein Körper" mit Ulrike über die Tanzfläche schwebt, bis mit einem lauten "Klatsch" ein orientalisch aussehender Galan ihn abklatschte und seine Tänzerin für den Rest des Abends in Beschlag nahm. Goethe verlässt erniedrigt die Feier und quält sich daheim mit der Frage, ob der "Gardemaßmann" wohl nun neben oder auf ihr lag. "Nichts macht so arm, wie die Liebe, die nicht glückt." Es sei sein Meisterstück, jubeln die Feuilletonisten, "Es ist sein schönster Roman" urteilt Martin Lüdke in der Frankfurter Rundschau. Lüdke, Kulturredakteur des SWR, der oft mit Walser zu tun hat, moderiert auch an diesem Abend eine kleine Talkrunde. Zwischen dem Literaturkritiker, der mit intellektuell verschachtelten Fragen versucht, Walser ein wenig aufs Glatteis zu führen, und dem in der Presse gerne als Dichterfürsten Bezeichneten, kommt es zum amüsanten Wortwechsel. Für ihn sei es Einladung gewesen, ja das Tolle, dass so wenig über Goethe und Ulrike von Levetzow überliefert worden ist. Mit dem ersten Satz "Bis er sie sah, hatte sie ihn schon gesehen" war er sofort in der Geschichte drin, hatte er den richtigen Ton gefunden, verrät Walser. Er habe nie versucht, Goethe zu imitieren. "Das ist meine Sprache, keine Imitation. Ich habe Goethes Briefe geschrieben - es kommt mir selbst manchmal komisch vor", sagt er. Pedantisch war er nur, was Goethes Umfeld anging. Er wollte die Treppen sehen, über die Goethe ging. "Und ich habe Marienberger Wasser getrunken. Näher kann man Goethe nicht kommen." Und Goethes Briefe? Wer weiß, vielleicht waren sie ja denen Walsers ähnlicher, als er denkt.

Nächste Lesung: Georg M. Oswald, Dienstag, 29. April, 20 Uhr in Bitburg. Tickets in den TV-Pressecentern in Trier, Bitburg, Wittlich.

Umfrage

Katharina Irmen (Landscheid): Die Lesung gefiel mir sehr gut. Es herrschte eine besondere Atmosphäre. Wenn Walser liest, ist das ein ganz anderes Erleben. Mareile Wolff (Wissmannsdorf): Ich fand den Wortwechsel zwischen Lüdke und Walser sehr witzig, geistreich und auch charmant. Elke Vollmer (Irrel): Walsers Persönlichkeit ist überragend. Toll, wie er in seinem Alter noch diese geistige Frische und Schlagfertigkeit hat. Conrad-Peter Jost (Euskirchen): Die Vorreden waren mir ein bisschen zu lang, die Einführung durch Herrn Zierden fand ich hervorragend.

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