Die Lust am Alten

Minden/Mainz · Schreinermeister Alfred Wirtz aus Ralingen baut eine alte Scheune um und ist nun mit seinem Projekt im Architekturjahrbuch 2016.

Die Lust am Alten
Foto: (g_kultur


Minden/Mainz "Wer immer nach dem Zweck der Dinge fragt, wird ihre Schönheit nie verstehen", steht auf einem kleinen Schild auf einer Treppenstufe direkt in Augenhöhe. Diesen Spruch habe er bei einer Dada-Ausstellung gesehen, erzählt Alfred Wirtz, Schreinermeister aus Ralingen. Aufgestellt hat er ihn zum Scherz und als Kritik: Als die Architektenkammer ihm schrieb, dass er beim Tag der Architektur ein Schild in seiner frisch umgebauten Scheune aufstellen müsse, das Besucher darauf hinweist, dass an der Treppe kein ausreichender Handlauf angebracht ist, montierte er auf einer Stufe das Warnschild und auf der nächsten diesen Spruch.
Ein Spruch, der seine eigene Geschichte mit dem alten Gemäuer perfekt zusammenfasst. Als Alfred Wirtz die alte Scheune in Minden 2004 das erste Mal besichtigte, stand er in einem dieser typischen verlassenen Nutzgebäude, wie es sie in vielen Dörfern der Eifelregion gibt. Ein sogenanntes Trierer Einhaus, in dem früher bäuerliches Wohnhaus und Nutzhäuser wie Ställe und Scheunen eine Einheit bildeten. Die Scheune in Minden stellt darin schon eine Ausnahme dar, Wohnhaus und Scheune waren seit jeher durch einen kleinen Bachlauf voneinander getrennt. Auf der einen Seite des Baches stand das damals schon schön renovierte Wohnhaus, auf der anderen Seite die weiter und weiter verfallende Scheune. Wirtz hatte über eine Annonce in der Zeitung von dem Verkauf des ehemaligen Stalls und Heulagers erfahren. Er erinnert sich noch gut an den ersten Eindruck von dem zweigeschossigen Haus mit den winzigen Fenstern zur Straße hin. Drinnen war es vorwiegend eines: dunkel. Die Bruchsteinwände im Untergeschoss, wo sich einst die Stallungen befanden, waren schwarz angelaufen von den Ammoniakausdünstungen im Urin der Tiere. Der niedrige, gedrungene Raum mit der leicht erhöhten Futtergasse in der Mitte voll gestellt mit Sperrmüll. Vielleicht war das schon der Moment, in dem die 40 anderen Interessenten an dem Tag auf dem Hacken umgedreht haben. Aber Wirtz hatte etwas dabei: Vorstellungskraft. Als er in das Obergeschoss ging und in dem sechs Meter hohen ehemaligen Heulager stand, das von einem einzelnen Heutor mit Licht versorgt wurde, kamen die Ideen dazu. Er kaufte die alte Scheune. Seitdem sind einige Jahre vergangen. Im Frühjahr 2016 konnten Wirtz und seine Familie die umgebaute Scheune eröffnen, sie ist auch jetzt noch ein Nutzraum, allerdings für die Kunst. Theateraufführungen finden dort statt, Konzerte sind geplant. "Schreiben Sie über die Kunstscheune?", fragt der Nachbar gegenüber, und in seiner Stimme schwingt Lokal-Stolz mit.
Dabei waren die ersten Reaktionen auf den Scheunenkauf ganz andere, wie sich Architekt Roger Wirtz, der Cousin von Alfred Wirtz, erinnert: "Am Anfang wurde tatsächlich gefragt, wann die Scheune denn nun abgerissen und ob hier zukünftig geparkt werden könne." Der 40-Jährige, der ein Architekturbüro in Frankfurt hat, war damals mit der Planung für das Gebäude beauftragt, das vorerst nur als Lager für den Schreinereibetrieb von seinem Cousin diente. Nach ein paar Jahren kam dann die Idee auf, mehr daraus zu machen. 2011 fingen die beiden an zu bauen. "Dabei entstand vieles in Eigenleistung," erinnert sich Roger Wirtz, "und mit ganz viel Muße."
Das Problem beim Bauen sei oft der Zeitdruck, das mache vieles auch teurer, sagt Wirtz, mit entsprechender Zeit könne man sich vieles noch einmal überlegen und oft günstigere Entscheidungen treffen. "Gerade wenn man den Luxus hat, so viel Muße zu haben, kann man etwas Besonderes schaffen." Und dabei noch etwas für seine Umwelt tun: Zum einen sei es ressourcenschonend, bestehende Gebäude zu reaktiveren, zum anderen bewahre es das Ortsbild. "In vielen Dörfern verfallen alte Wirtschaftsgebäude vor sich hin und werden irgendwann abgerissen. Das kann manchmal guttun und Weite schaffen, oft sieht es im Ort selber dann aber aus, als hätte man ein löchriges Gebiss vor sich." Natürlich sei klar, dass alte Gebäude ein gewisses Überraschungspotenzial böten, und nicht jedes alte Wirtschaftsgebäude lasse sich ohne weiteres wieder herstellen. Oft machten auch die kleinen, niedrigen Räume, die heutigen Wohnansprüchen nicht mehr genügten, Angst vor einer großen Investition. Bei Scheunen sei dies aber noch mal anders, weiß Roger Wirtz aus Erfahrung. "In jeder Scheune steckt so ein Potenzial," sagt Alfred Wirtz, "zumindest wenn die Bausubstanz in Ordnung ist." Das hat er in der Scheune in Minden gleich gesehen, die Wände gerade und parallel, keine große Feuchtigkeit, die Außenwände stabil. Er erneuert das Dach und gewann so viel Zeit, um innen arbeiten zu können. Von da an verselbstständigte sich das Projekt, er und seine Frau seien einfach nur mitgelaufen, bis sie ihre Scheune schließlich sogar beim Tag der Architektur vorstellen konnten und sie in Mainz ins Architekturjahrbuch 2016 aufgenommen wurde.
Es ist nicht das erste Projekt von Wirtz dieser Art und auch nicht der erste Preis, den er erhielt, 2015 ging bereits der Baukulturpreis Eifel an ihn für den Ausbau der Scheune.
Was die Preisrichter in allen Fällen überzeugte, war nicht nur das Bewahren dieser traditionellen Häuser, sondern auch das Finden eines neuen Nutzens. "Natürlich ist das Herzblut", sagt Wirtz, "es kommt einfach auch durch meinen Beruf, diese Lust und Freude am Arbeiten in alten Häusern. Dadurch bekommt man auch einen Blick für diese alten Gebäude und für ein harmonisches Eingliedern in ein Dorf."
Leidenschaft war es auch, die ihn im Jahr 2002 im strömenden Regen auf eine Baustelle in Ralingen trieb. Damals wurde ein neuer Dorfplatz gebaut, unter dem alten hatten Arbeiter den Boden einer Scheune gefunden, die 1965 abgerissen worden war. Der Fußboden wurde verschüttet und sollte nun endgültig auf die Mülldeponie gebracht werden. Wirtz rettete die massiven Steinplatten, lagerte sie ein und verbaute sie schließlich im Erdgeschoss der Mindener Scheune.
Einen Blick fürs Detail bewies er, als er die Ballettproduktion "Das Narrenschiff" in der Spielzeit 2011/12 sah. Damals gefiel ihm das Bühnenbild von Bodo Korsig so gut, eine Anhäufung von weiß bemalten Ästen. Er fragte bei Korsig nach und konnte ihm schließlich ein paar abkaufen, die in der Scheune nun Handläufe und Geländer für die Treppe sind. "Diese alte Bausubstanz hat ihren ganz besonderen Charme, man kann heute nicht mehr so bauen," sagt Wirtz, "aber alles steht und fällt damit, dass Menschen sich darin wohlfühlen. Diese Häuser werden von den Menschen belebt, und oft haben sie auch eine positive Auswirkung auf das Dorfleben."
Seitdem die alte Scheune wieder in neuem Glanz erstrahlt, hätten ein paar Leute im Dorf ihre Häuser neu gestaltet, und wenn es nur ein neuer Anstrich war. "Man kann mit solchen Objekten zeigen, was alles möglich ist, und ein paar haben sich eben inspirieren lassen, selbst Ideen zu haben."
Termine in der Kulturscheune Minden: Samstag, 1. Juli: The Odyssey Ensemble Streicherquintett mit Musikern des Royal Philharmonic Orchestra London und der Academy of St Martin in the Fields
Sonntag, 16. Juli: Lesung mit Ralf KrampExtra: PREISGEKRÖNTE HEIMAT

Die Lust am Alten
Foto: (g_kultur
 Alfred (li.) und Roger Wirtz bei der Vernissage zu „Die 24 besten Bauten in / aus Deutschland“.Foto: privat

Alfred (li.) und Roger Wirtz bei der Vernissage zu „Die 24 besten Bauten in / aus Deutschland“.Foto: privat

Foto: (g_kultur
Die Lust am Alten
Foto: (g_kultur


Die Region hat viel Schönes zu bieten, unter anderem auch wunderschöne Häuser. Vier wurden vor Kurzem mit Preisen ausgezeichnet. In der heutigen Ausgabe stellt der Trierische Volksfreund eine alte Scheune in Minden vor, die nun im Architekturjahrbuch steht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort