Die Mörder in uns

Mord und Totschlag vom Parterre bis ins Dach: Viel zu sehen gibt es in der Luxemburger Ausstellung über Gewaltverbrechen. Die Kernfragen bleiben allerdings offen.

Luxemburg. (er) Ein echter Mörder war auch schon da. Nico Reisdorff, der 1989 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, hat sich mit seinem Begleiter ordentlich ins Gästebuch der Ausstellung "Mord und Totschlag" eingetragen.

Für Reisdorff mag der Ausstellungsbesuch eine Art virtuelle Rückkehr an den Tatort gewesen sein. Der Luxemburger ist eines der Mitglieder der berüchtigten "Waldbëlleger" Bande, auf deren Konto etliche Morde, Banküberfälle und andere Delikte im Großherzogtum gehen. Ihr Fall ist in der Schau dokumentiert.

Reisdorff gilt nicht nur als einer der gefährlichsten Luxemburger Kriminellen, er ist womöglich auch der prominenteste. In der Haft hat er unlängst seine Biografie "Erziehung zum Wahnsinn" und das Buch "Lebenslänglich" veröffentlicht. Das Heimkind Reisdorff, dem Nachdenklichkeit und kritische Distanz zu seiner Tat nachgesagt werden, kreist mit bald 51 Jahren offensichtlich um das Problem des Tötens. Ganz oben, wo sich die Besucher entscheiden sollen, aus welchem Grund sie eventuell töten würden - die Möglichkeiten reichen von Geldgier über Eifersucht und Stolz bis hin zur Notwehr - soll er angemahnt haben, er vermisse die Alternative "ich würde überhaupt nicht töten". Und genau damit trifft er den kritischen Punkt dieser Schau, die ursprünglich eine Geschichte des Kapitalverbrechens hatte werden sollen, wie Pressereferent Boris Fuge berichtet. Doch dann beschloss Kuratorin Marie-Paule Jungblut, das Ganze grundsätzlich anzugehen. Zu besichtigen ist jetzt ein breites Spektrum des Erscheinungsbildes des Gewaltverbrechens vom Totschlag bis hin zum politischen Mord, zum Amoklauf und zum Töten als kriegerische Handlung. Dabei muss man den Ausstellungsmachern zugute halten, dass sie sich bemühen, bei diesem gleichermaßen hochinteressanten wie hochkomplexen Thema die Dinge auseinanderzuhalten und ihre Grundlagen und Motivationen zu analysieren.

Klar ist allerdings auch, dass sie sich dabei übernehmen, zumal ein guter Teil der Gründe für "den Mörder in uns" bislang im Dunkeln liegt. Was ohne Frage seit Menschengedenken unverändert bleibt, ist die Faszination der Gewalt. Was sie übrigens zu einem krisensicheren Geschäft macht, wie in unseren Tagen nicht allein Waffenhersteller, Krimis, Videos und Computerspiele beweisen, sondern auch Zeitungsartikel, T-Shirts und umweltfreundliche Jutetaschen mit den Konterfeis von Massenmördern. In Luxemburg wird übrigens laut Statistik in erster Linie aus Leidenschaft gemordet. Töten wollen - so eine Umfrage - die meisten Besucher höchstens aus Notwehr. Vielleicht hat der Schriftsteller Anatole France recht: "Jede Gesellschaft bekommt die Mörder, die sie verdient".

Die Ausstellung ist noch bis zum 28. März 2010 zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 20 Uhr.

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