Die Macht der dekorativen Bilder

Es war ein Abend auf der Kippe, diese "Nabucco"-Premiere, und das in mehrfacher Hinsicht. Aber die Geduld des Publikums wurde belohnt: Am Ende stand ein Ergebnis, das sich sehen lassen konnte - was für das Hören nicht ganz so uneingeschränkt galt.

Trier. Ein Glück, dass den "Trash People" Regen nichts ausmacht. In stoischer Ruhe stehen die Kunst-Müll-Menschen inmitten des Bühnenbildes und betrachten das hektische Gewusel, das ausbricht, als nach fünf Minuten Ouvertüre ein Schauer über dem Amphitheater niedergeht und die gerade begonnene Aufführung abrupt beendet. Genau so gelassen nehmen sie zur Kenntnis, das es nach 20 Minuten weitergeht.

Imposant wirkt die 100-köpfige Truppe, geheimnisvoll und mit jedem Lichtwechsel ein bisschen anders. Aber lange scheint es so, als lähmten die Müll-Soldaten mit ihrer kraftvollen Präsenz die gesamte Inszenierung. In Alt-Veroneser Ästhetik lässt Gerhard Weber Chöre und Statisten unentwegt ein- und ausmarschieren, Requisiten schwingen und Leibesübungen verrichten, deren Sinn sich nur begrenzt erschließt. Das Orchester spielt direkt vor dem Publikum, dahinter stehen die "Trashies" und irgendwo, gut 25 Meter von den Rängen weg, reihen sich Chor und Solisten auf einer Empore auf.

Die Konsequenz ist, dass man - jedenfalls in den unteren Reihen - häufig allenfalls an den Lippenbewegungen ablesen kann, dass da hinten gesungen wird. Die Wucht und Kraft, die der Gesang bei einer frühen Verdi-Oper wie Nabucco braucht, fehlt. Und die weiten Entfernungen sorgen dafür, dass Tempi und Einsätze oft fröhlich auseinander klaffen. Da mag der gewohnt einfühlsame und aufmerksame István Dénes noch so wippen, hüpfen und wedeln - so viel Körpersprache kann man gar nicht einsetzen, um zusammenwachsen zu lassen, was hier eigentlich zusammengehört.

So steht die Produktion auch künstlerisch auf der Kippe, und es dauert nach der Regenunterbrechung noch mal fast eine Stunde, bis kurz vor der Pause ein Umschwung einsetzt. Da werden die Trash People allmählich von der Staffage zum Spielort, da traut man sich, sie einzubeziehen, statt schüchtern durch sie hindurch zu laufen. Und Mikolaj Zalasinskis überragender Nabucco schafft es, den arg holzschnittartigen Symbolismus der Personenführung zu durchbrechen und seiner Figur zumindest Ansätze eines Charakters zu verleihen.

Gefangenen-Chor ohne Effekthascherei

Nach der Pause begibt sich auch der mit Hilfe der Ehranger Musikvereine verstärkte Chor (Leitung: Jens Bingert und Reinhold Neisius) zunehmend von der Balustrade herunter ins Geschehen, das sichtlich Fahrt aufnimmt. Beim schön - und ohne jede billige Effekthascherie gesungenen - Gefangenenchor "Va pensiero" scheint sogar ein bisschen von dem auf, was die Regie als dramaturgischen Kern des Stückes angekündigt hat: Die Gefangenen müssen ihre Gebetbücher abgeben, die später mit nicht ganz zeitgemäßer, aber effektvoller Pyrotechnik am nächtlichen Abendhimmel über dem Amphitheater verbrannt werden.

Ansonsten bleibt vom Inhalt wenig, aber die krude Geschichte um einen König, der aufgrund seiner Hybris von Gott mit Wahnsinn geschlagen und später wieder zu Verstand gebracht wird, um seine echten und falschen Töchter, um Verrat und Bekehrungen vermag in dieser Inszenierung ohnehin nur zu verstehen, wer die Inhaltsangabe gründlichst studiert hat.

Da setzen Gerhard Weber und Kostümbildnerin Carola Vollath lieber auf die Macht der dekorativen Bilder und liefern dem entzückten Publikum jene Beleuchtungs-Orgie nach, die der Regen im letzten Jahr viermal verhinderte. Da blüht das Amphitheater, kontrastierend zur Strenge der Kostüme, in fantastischsten Farben, und die Zuschauer kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Das Amphitheater blüht in fantastischsten Farben

Musikalisch ist der Abend durchwachsen. Mikolaj Zalasinski holt mit seiner wunderbar ausgeglichenen, präzise artikulierenden Stimme und einem exzellenten Gefühl für Timing einen Hauch der großen Festspiel-Welt nach Trier. Vera Wenkert ist mit der mörderischen Rolle seiner Gegenspielerin Abigaille überfordert. Dabei funktionieren gerade die innigen, belcanto-nahen Stellen vorzüglich, obwohl sie von ihrem Fach weit entfernt liegen. Aber bei jedem der unverschämt schwer platzierten Spitzentöne muss man mit ihr zittern, und leider hilft das Daumendrücken nicht immer.

Juro Zinovenko verabschiedet sich aus Trier mit einer vor allem in den leisen Tönen überzeugenden Interpretation des Hohepriesters Zaccaria, während sein gleichfalls scheidender Kollege Gor Arsenian an diesem Abend zu den Opfern der Akustik gehört. Bemerkenswert volltönend und gewohnt präzise singt Eva Maria Günsch-mann die Fenena - man sollte ernsthaft erwägen, ihr bei den Festspielen endlich eine größere Aufgabe anzuvertrauen. Bei Evelyn Czesla, Laszlo Lukacs und Peter Koppelmann sind die kleineren Rollen in guten Händen.

Vom unterm Strich freundlichen, aber nicht euphorischen Schlussbeifall heimst neben Zalasinski das Orchester den Löwenanteil ein. Zu Recht, nicht nur wegen der Wetter-Resistenz. Da ist ein Spannungsbogen vom verhaltenen Start bis zum kraftvollen Finale, da beweisen die Cellisten geradezu kammermusikalische Qualitäten, da sorgt die Banda für frische Akzente. Ein "Nabucco" ohne Patina, erdig, ehrlich. So wie HA Schults Trash People.

Festspiel-Splitter

Den entscheidenden Satz des Abends sprach Orchester-Vorständlerin Ursula Heckmann. Als die Musiker nach der Regen-Pause weiterspielen sollten, begann es erneut zu nieseln. GMD István Dénes blickte etwas ratlos, da rief Heckmann aufmunternd in die Runde: "Wie isses, probieren wir's?" Zustimmendes Nicken, fünf Sekunden später ging's los, und kurz danach versiegte der Schauer. Gut, dass wir mutige Musiker haben. Allerlei Flachs musste sich Luxemburgs Trierer Honorarkonsul Franz-Peter Basten anhören, als der Himmel seine Schleusen öffnete. Denn aufgrund einer Luxemburger Wetter-Prognose hatte man sich ans Open-Air-Spielen gewagt. "Nicht, dass ich jetzt zurücktreten muss", juxte der Politiker. Aber zu seinem Glück blieb's ja dann trocken. Der Mainzer Kultur-Staatssekretär Joachim Hofmann-Göttig profitierte von seiner langjährigen Trier-Erfahrung und hatte sich, Vorhersage hin oder her, wetterfest eingemummelt. Wohingegen sein Berliner Kollege Karl Diller, den man bei der nichtendenwollenden Begrüßungsarie vergessen hatte (vielleicht hat er seine Karte ja bezahlt), einen Schirm für seine Frau organisieren musste. Sein kulturelles Trier-Debüt gab CDU-Landeschef Christian Baldauf. Alt-Ministerpräsident (und Opern-Freak) Carl-Ludwig Wagner nahm den bekennenden AC/DC-Fan (musik-)beratend unter seine Fittiche. Nichts würde Baldauf lieber werden als Wagners Nachfolger - freilich kaum als Vorsitzender der Trierer Theaterfreunde, sondern eher in der Mainzer Staatskanzlei. Neues Gesicht unter den stark vertretenen Verwaltungs-Oberhäuptern: Sechs Tage nach seiner Wahl gab der Konzer Bürgermeister Karl-Heinz Frieden seine Visitenkarte ab. Erleichterung am Ende im Festspielzelt: "Wie gut, dass wir durchgehalten haben", schwärmte Marie-Luise Niewodniczanska, First Lady der Eifel-Kultur, über die finale Bilderpracht. Aus dem Kürenzer Blickwinkel stellte sich die Sache ähnlich dar: "Das sind echte Festspiele, nicht der ganze andere Kram", befand der markige Manfred Maximini. (DiL)

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