"Die Musik soll aufrütteln und nachdenklich machen" - Bariton Franz Grundheber im Interview

Trier · Der Weltstar eröffnet das Mosel Musikfestival mit Schönberg und Beethoven. Die Ausein- andersetzung mit den Nazi-Verbrechen ist dem Opernsänger ein persönliches Anliegen.

 Ist seiner Heimat Trier immer verbunden geblieben: Bariton Franz Grundheber. Foto: privat

Ist seiner Heimat Trier immer verbunden geblieben: Bariton Franz Grundheber. Foto: privat

Foto: Martin Möller (mö) ("TV-Upload M?ller"

Das Mosel Musikfestival wird in diesem Jahr mit einem ungewöhnlichen Programm eröffnet - Beethovens Neunter und "Dem Überlebenden von Warschau" ("A Survivor from Warshaw") von Arnold Schönberg. Bariton Franz Grundheber hat dieses Programm ausdrücklich gewünscht. Im Gespräch mit TV-Mitarbeiter Martin Möller erklärt der aus Trier stammende Weltstar, warum.

Schönbergs "Überlebender von Warschau" und Beethovens Neunte - eine KZ-Erzählung und eine Menschheits-Hymne in einem Konzert. Wie passt das zusammen?
Franz Grundheber Das passt überhaupt nicht zusammen. KZ-Erzählung und Menschheits-Pathos vertragen sich nicht. Ich habe im "Überlebenden" schon häufig die Erzähler-Rolle übernommen - unter anderem zu Rolf Liebermanns Zeiten in Hamburg und zuletzt in Essen unter Stefan Soltesz. Jedes Mal löste Schönbergs Komposition Erschrecken aus. Und dann der Beethoven mit seinem großartigen humanen Appell!

Verträgt sich denn Beethovens klare und eindeutige Tonalität mit Schönbergs differenzierter Zwölftontechnik?
Grundheber Es sind krasse Gegensätze - im Text und in der Musik. Darum gehören die Stücke zusammen in ein Konzert. Sie wollen in dieser Gegensätzlichkeit aufrütteln und nachdenklich machen. Ich habe in meiner Kindheit noch erlebt, wie Menschen mit dem Judenstern über die Straße gingen. Als ich später auf dem Gymnasium war, wurde die NS-Zeit stillschweigend übergangen. Für mich ist es wichtig, dass Musik diese Dinge zur Sprache bringt und Fragen stellt: Wie war so etwas überhaupt möglich? Und dann die Apotheose der Menschlichkeit in der "Neunten". Beides konfrontiert den Hörer mit der Vergangenheit und mit all dem, was noch heute in der Welt an Schrecklichem geschieht.

Der Erzähler in Schönbergs Werk ist eine Sprechpartie ....
Grundheber ... ja, eine reine Sprechpartie. Es ist auch anders als der Sprechgesang bei "Moses und Aron". Schönberg hat im "Überlebenden" den Rhythmus festgelegt und die Sprachmelodie nur angedeutet. Es ist nichts Poetisches oder Theatralisches dabei. Was im KZ geschieht, ist grausame Realität.
Wie gehen Sie mit diesem Text um? Wie weit bringen Sie Ihren eigenen Sprechstil ein?
Grundheber Der Rhythmus muss ganz präzise sein. Er muss mit den Akzenten im Orchester übereinstimmen. Er muss haargenau stimmen, das ist eine Regel bei Schönberg.

Und Sie sprechen den englischen Text?
Grundheber ... teils englisch, teils deutsch, aber nicht das Berlinerische Deutsch, das in manchen Ausgaben steht. Am Schluss nehme ich mir eine Freiheit. Die Gefangenen zählen nicht auf Englisch ab - "one, two, three" und so weiter -, sondern auf Deutsch - "eins zwei, drei".

Und es muss auf Englisch sein?
Grundheber Ja, da wird das Internationale in diesem Stück deutlich! Der Überlebende hat sicherlich nicht Englisch gesprochen, sondern vielleicht Polnisch.

Auch andere Komponisten haben die Schrecken von Krieg und Vernichtung aufgegriffen - Schostakowitsch in der Leningrader Sinfonie, Britten im "War Requiem". Was ist bei Schönberg anders?
Grundheber Was anders ist bei Schönberg, ist die eigene Betroffenheit. Schönberg war gesellschaftlich assimiliert, war sogar zum Christentum übergetreten. Und dann musste er erleben, dass es an seinem Urlaubsort hieß "Juden unerwünscht". Da ist er nach Amerika in die Emigration gegangen und wieder Jude geworden.

Herr Grundheber, Sie stehen auf dem Podium, und Schönbergs Komposition geht über in den Männerchor - das "Schema Israel - Höre, Israel". Was empfindet ein Interpret in solch einem Moment?
Grundheber Ja, da spürt man eine Art Trotz. So wie die Märtyrer singend und bekennend in den Tod gegangen sind. Je gewaltiger das gesungen wird, umso eindrucksvoller ist es.

Verstehen wir Beethoven besser, wenn wir zuvor Schönberg gehört haben?
Grundheber Es ist diese große Spannweite von Beethovens klassischer Tonalität zur atonalen Zwölftontechnik bei Schönberg, die mich so ungemein berührt - und ich hoffe sehr, die Zuhörer auch. Darum habe ich auf diesem Programm bestanden.
Interview: Martin MöllerInterview Franz GrundheberExtra: DIE ERÖFFNUNG DES MOSEL MUSIKFESTIVALS 2017


Beim Konzert zur Eröffnung des Mosel Musikfestivals 2017 in der ehemaligen Abteikirche St. Maximin in Trier am Samstag, 8. Juli, ab 20 Uhr mit Werken von Arnold Schönberg und Ludwig van Beethoven wirken folgende Musiker mit: Susanne Bernhard (Sopran), Marion Eckstein (Alt), Corby Welch (Tenor), Franz Grundheber (Bariton und Sprecher), Trierer Konzertchor, Saarländisches Staatsorchester, Leitung: Jochen Schaaf. Es gibt nur noch Restkarten an der Abendkasse.

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