Die Suche nach der verlorenen Zeit

TRIER. Mit Sven Grützmachers neuem Stück "Kozmic Blues" taucht das Tanztheater Trier ein in die musikalische und emotionale Welt der 70er-Jahre. Eine Zeit, in der die Hauptakteure noch nicht auf der Welt waren.

Eigentlich sollten die Tänzer des Trierer Ensembles an diesem Montagabend längst am Proben sein. Eigentlich. Aber den Letzten beißen die Hunde. Und das Ballett ist an diesem Tag der Letzte. Zwei Aufführungen des Kinderstücks haben die Techniker heute schon hinter sich, jetzt basteln sie an den Aufbauten für "Kozmic Blues". Und das dauert. Auch wenn Compagnie-Chef Sven Grützmacher eigenhändig Kulissen schiebt. Derweil wärmen sich die Tänzer mit Dehnübungen auf wie Spitzen-Athleten vor dem Wettkampf. Montag, Dienstag, Donnerstag und Samstag sind Schlussproben angesetzt, am Sonntag ist Premiere. Fünf Mal Hochleistung in sieben Tagen - Bundesliga-Kicker wären da längst auf den Barrikaden. "Da muss man Kondition aufbauen", sagt David Scherzer, der sich nach "Brel" auf seine zweite Hauptrolle vorbereitet. Ein Routinier wie Kollege Stojan Kissiov leistet sich trotzdem schon mal den Luxus einer Selbstgedrehten in der Theaterkantine. Scherzer und Kissiov tanzen in "Kozmic Blues" zwei Brüder in den Siebzigern. Marty, der Jüngere, ist auf der Suche nach sich selbst. Kein leichter Weg. Ein Vater mit Alkoholproblemen (ihn spielt der Jüngste der Truppe, der 21-jährige René Klötzer), gesellschaftliche Umbruchzeiten, Revolution oder Anpassung: Marty muss lange um seine Selbstfindung kämpfen, die Handlung läuft über Jahrzehnte. Die Musik ist vom Feinsten, das die Epoche zu bieten hat: Doors, The Who, Janis Joplin (deren Titel "Kozmic Blues" dem Stück den Namen gegeben hat), Pink Floyd. Als deren Klassiker auf schwarzes Vinyl gepresst wurden, waren David Scherzer und René Klötzer freilich noch nicht auf der Welt. "Man kennt das aber von seinen Eltern", sagt Scherzer. Aber wie soll ein 21-Jähriger die Atmosphäre der 70er-Jahre nachempfinden? "Kein Problem, die Musik transportiert viel vom Gefühl der Zeit", versichert Klötzer. Und was soll das gewesen sein? "Freiheit, Aufbruch, etwas Neues und Wildes" - es klingt wie aus einem Mund, was die drei Haupt-Akteure assoziieren. Aber es klingt auch sehr weit weg vom Jahr 2007. "Da gibt es heute nichts Adäquates", glaubt Stojan Kissiov. Seit drei Monaten arbeiten sie an dieser Produktion. Am Anfang standen eine Art Drehbuch und die Musikauswahl - beides von Sven Grützmacher. Dazu kam das, was David Scherzer "Schrittmaterial" nennt, also die tanztechnischen Vorgaben. Richtig entstanden ist das Stück erst bei der gemeinsamen Arbeit auf der Bühne. "Am Anfang ist es eine weiße Fläche", sagt Stojan Kissiov. Vor allem, wenn es - anders als bei einem klassischen Ballett wie "Giselle" - keinen verbindlichen "Soundtrack" gibt. Das große Maß an Freiheit macht den Tänzern Spaß: "Die Sache wird viel farbiger", beschreibt David Scherzer den Prozess, "man ist nicht so eingegrenzt"."Für Tänzer ist mit 35 Schluss"

Für Stojan Kissiov dürfte "Kozmic Blues" eine der letzten Produktionen als aktiver Tänzer sein. Berlin, Saarbrücken, Montreal, Würzburg, dann wieder Berlin lauten die Stationen seiner Karriere. In Trier ist er schwerpunktmäßig als Trainingsleiter und choreografischer Assistent eingestellt. Aber das Ensemble ist klein, und so holt ihn Sven Grützmacher für wichtige Rollen immer wieder auf die Bühne. Nach einer langwierigen Verletzung mit anschließender Reha hat er sich wieder durchgebissen, brillierte zuletzt in "Judas". Doch nun will er sein Tätigkeitsfeld endgültig Richtung Training und Choreografie verlegen. "So ist das nun mal, für Tänzer ist mit 35 Schluss", sagt er, aber es klingt nicht frustriert. Kein Grund für einen "Kozmic Blues", auch nicht bei David Scherzer, der das Metier durch seine Mutter, die bekannte Choreographin Birgit Scherzer, von Grund auf kennt: "Man muss es genießen, so lange es läuft". Derweil läuft es auf der Probe-Bühne. Die Tänzer ziehen die fußwärmenden Moonboots aus, Unterwasserbilder flimmern von der Projektionswand. Aus den Lautsprechern tropft "Echoes" von Pink Floyd. Bei älteren Herrschaften Ende 40, die das Stück aus der Entstehungsphase kennen, rieselt ein wohliger Schauer über den Rücken. "Kozmic Blues" kann kommen. Premiere am 11. Februar, Vorstellungen am 14., 16. und 23. Februar, 2. und 6. März. Karten: 0651/7181818.

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