Die Sünde ist eine Frage des Stiels

TRIER. Nichts ist schöner als die Sünde. Welch ein köstlicher Genuss, sich ihr hemmungslos hinzugeben. Und das Schönste: Ab sofort ist sie wohlfeil zu haben. Ohne jedes Schuldgefühl. Einzige Strafe: Möglicherweise Bauchgrimmen.

Von Wollust ist abzuraten. Natürlich haben sich alle Kollegen und -innen sofort darauf gestürzt. Hört sich ja auch vielversprechend an. Aber sie waren nach zweimal Lecken ziemlich enttäuscht. Allein der Anblick hätte eine Warnung sein müssen: ein rosa Überzug, der verhüten soll, dass das Gefrorene ungeschützt auf die Finger tropft. Er sieht nicht nur nach Barbie-Puppe aus, er schmeckt zudem noch nach einem billigen Erdbeer-Aroma-Ersatz, und innendrin ist nur langweiliges Vanilleeis. 1 Euro 45 für die Müllkippe. Nüchterne Erkenntnis: Nicht alle Verheißungen führen zur Erlösung.Wie schmeckt der Hochmut?

Von Speiseeis ist mithin die Rede und von den Sieben Todsünden. Auf den ersten Blick ein kühner Brückenschlag von den perfiden Züchtigungsmitteln eines griechischen Theologen namens Evagrius von Pontus bis hin zur skurrilen Marketingidee einer Eisfabrik zwecks Ankurbelung des Sommergeschäfts mit dem klebrig-süßen Kalten. Über Geschmack lässt sich halt nicht streiten. Hatte der griechische Eiferer Evagrius (345-399) noch acht Todsünden ausgetüftelt, ließ Papst Gregor der Große (540-604) schon Milde walten und reduzierte die Liste der verdammenswerten Vergnügen um ein Laster, indem er Ruhmsucht und Stolz zu Hochmut zusammenfasste.Und schon haben wir die Eismacher kalt erwischt: Zu Hochmut ist ihnen geschmacklich nix Passendes eingefallen. Statt dessen haben sie Eitelkeit in die Liste eingefügt: weiße Schokolade mit silbernen Liebesperlen geschmückt. Ein Schuft, der dabei lose Gedanken denkt. Der Neid ist, nicht sonderlich originell, grün eingefärbt; dafür mussten Pistazien herhalten. Die Faulheit enthält rätselhafterweise Erdnusscreme im Vanilleeismantel, und die Habgier ist versetzt mit Cornflake-Stücken. Wäre der bigotte Erfinder der Knusperflocken, Dr. John Harvey Kellogg, der seinen vertrockneten Frühstücksersatz 1906 unters hungrige Volk streute, noch am Leben - er hätte Langnese mit Schadensersatzklagen in Millionenhöhe überzogen. Wahrscheinlich rotiert der ultrareligiöse Arzt auch jetzt im Grab, sollte ihm jemand stecken, dass sein Produkt in Zusammenhang mit einer Todsünde gebracht wurde.Nichts für Figurbewusste ist dagegen die Völlerei - und deshalb besonders delikat: Zwei Schokoladenüberzüge - ein weißer und ein dunkler - umhüllen eine schokoladige Sahnesahnesahne-Creme. Der Kalorienkracher ersetzt mühelos drei Mahlzeiten. Zu denken gibt allerdings die Darbietungsform des moralisierenden Eiskonfekts: Es ist erhältlich auch in der Familienpackung. Was natürlich erhellende Rückschlüsse auf die Charaktere der Sippenmitglieder zulässt, wenn Urahne, Großmutter, Mutter und Kind rund um die Schachtel versammelt sind und ein jeder sich das von ihm Bevorzugte krallt.Wie der sinnenfrohe und genussfreudige Mensch nicht alle Todsünden hintereinander verüben soll - morgen ist schließlich auch noch ein Tag, an dem man etwas Spaß haben will -, empfiehlt es sich natürlich, auch die Vergehen aus dem Hause Langnese nicht hintereinander wegzuschlecken. Wer‘s dennoch tut - wie es in diesem Fall zu Recherchezwecken unvermeidlich war -, könnte ein für allemal von den Todsünden die Nase voll haben. Auf eine so durchschlagende Wirkung wären die Kirchenväter gewiss neidisch gewesen. Letzter Nothelfer in einem solchen Fall ist ein doppelter Schnaps. Was ganz und gar keine weitere Sünde darstellt, im Gegenteil: Alkohol reinigt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Vom erwischt werden
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael BoltonVom erwischt werden
Zum Thema
Aus dem Ressort