Die große Ausmusterung

TRIER. Drei Tage vor dem Start in die Theaterspielzeit summt und brummt das Haus am Augustinerhof wie ein Bienenschwarm. Doch es ist weniger die Vorfreude auf die neue Saison, die für Aufregung sorgt, als eine Welle von Kündigungen der künftigen Intendanz.

Die Ersten erwischte es schon im Juli. Sänger Gor Arsenian, zwei Schauspieler, Ballett-Chef Volobuyev, Schauspielleiter Köhler: Sie erhielten eine "Mitteilung über die beabsichtigte Nichtverlängerung", wie es im Theaterchinesisch heißt. Solo-Künstler und Mitglieder des Leitungsteams sind im Gegensatz zu "normalen" Mitarbeitern oft nur mit kurzfristigen Verträgen beschäftigt, müssen aber unter Einhaltung bestimmter Fristen frühzeitig informiert werden, wenn man sie nicht behalten will. Dass ein neuer Intendant einzelne Künstler ausmustert und sich Spartenchefs aussucht, die sein Vertrauen besitzen, ist normal. Triers künftiger Theaterleiter Gerhard Weber hatte allerdings frühzeitig öffentlich versichert, er wolle Personalwechsel "auf keinen Fall radikal" vornehmen. Anfang Juni kündigte er im TV -Interview an, sich "in den nächsten Monaten ein Bild von der Qualität der einzelnen Ensembles machen". 14 Tage später endete die Theatersaison, seither war Sommerpause. Und nun wundert sich ein Ensemble-Mitglied, das anonym bleiben will, "woher er so schnell seine Erkenntnisse gewonnen hat". Aber die Personalentscheidungen haben nicht zwangsläufig mit der Qualität der betroffenen Künstler zu tun. Weil der versierte Schauspiel-Mann Weber aus Hannover wohl seine rechte Hand, den Chefdramaturgen Peter Oppermann mitbringt, galt der Abgang von Schauspielleiter Köhler schon lange als ausgemachte Sache. Auch die Ablösung des beim Publikum erfolgreichen, aber künstlerisch umstrittenen Ballettmeisters Volobuyev kam nicht ganz überraschend: Weber macht keinen Hehl daraus, dass er sich bei den Tänzern "einen anderen Stil" wünscht. "Sicher keine Avantgarde", wie er versichert, aber eine zeitgemäßere Ästhetik. Debakel statt Wachablösung

Doch die geplante Wachablösung geriet zunächst zum Debakel. Weil man die notwendigen Unterschriften vergaß, wurden die beabsichtigten Nichtverlängerungen bei Einspruch der Betroffenen hinfällig. Einzelne gehen wohl freiwillig, andere dürfen nun bleiben - wohl wissend, dass man sie eigentlich nicht mehr haben will. Ballettchef Volobuyev will bleiben, darf aber nicht. Sein Fall muss vor dem Bühnenschiedsgericht verhandelt werden. Allerdings ist ein potenzieller Nachfolger zurzeit schon im Haus, um das Ballett-Ensemble zu sichten. Eine peinliche Situation, kann es doch sein, dass Volobuyev weiter bezahlt werden muss. Kosten entstünden dem Theater dadurch allerdings nicht, versichert Kulturdezernent Holkenbrink, der Fehler sei "durch Versicherungen abgedeckt". Wer den Bock geschossen hat, darüber hüllt er sich in Schweigen. Das Personalamt der Stadt sei unbeteiligt, lässt er verlauten, auch der neue Intendant habe nichts damit zu tun. Kaum war die erste Welle verdaut, rotierte das Kündigungs-Karussell Mitte September erneut. Weitere neun Nichtverlängerungen wurden angekündigt, darunter die komplette Dramaturgie, die Presse-Abteilung und weite Teile des Schauspiel-Ensembles. Außer den durch ihre langjährige Zugehörigkeit zum Haus faktisch unkündbaren Verena Rhyn, Hans-Peter Leu und Manfred Paul Hänig sollen nur noch Klaus-Michael Nix und Tim Olrik Stöneberg bleiben. Unter den Nichtverlängerten ist auch die soeben mit der Trierer "Theatermaske" für herausragende Leistungen ausgezeichnete Nadine Kettler. Insider vermuten, dass Intendant Weber Teile seines derzeitigen Ensembles aus Hannover mitbringt. 15 Nichtverlängerungsmitteilungen sind inzwischen zugestellt worden, weitere würden "keinesfalls erfolgen", teilt Kulturdezernent Holkenbrink mit. OB und Kulturdezernent hätten "von Beginn an auf ein maßvolles Vorgehen hingewirkt", versichert der Dezernent und spricht vom "Ende der Fahnenstange". Bis 31. Oktober läuft die Anhörungsfrist, so lange will sich Weber zu einzelnen Personalien nicht äußern. Die Ankündigung der Nichtverlängerung müsse allerdings "nicht zwangsläufig in jedem Fall zur Kündigung führen", betont der 53-Jährige. Vielleicht ein Hoffnungsschimmer für den einen oder anderen im Trierer Theater.

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