Die rappende Zeitzeugin

Trier · Die KZ-Überlebende und ihre Band singen und spielen kritische Texte gegen das Vergessen zu aktueller Musik.

 Pure Lebensfreude: Esther Bejarano, ihr Sohn Joram am Bass und Rapper Kutla singen und spielen in Trier gegen rechtes Gedankengut.

Pure Lebensfreude: Esther Bejarano, ihr Sohn Joram am Bass und Rapper Kutla singen und spielen in Trier gegen rechtes Gedankengut.

Foto: Mechthild Schneiders

"Ich werde so lange singen, bis es keine Nazis mehr gibt!" Es scheint, als wolle Esther Bejarano ihr Versprechen einhalten. Laut ist sie, protestiert gegen Menschenverachtung, gegen Rassismus, gegen Nazis. Und sie wird nicht müde, weder in den vergangenen 70 Jahren, noch an diesem Abend bei ihrem Konzert in Trier. Zwei Stunden steht sie mit ihrem Sohn und Rapper Kutlu auf der Bühne im Keller des Mergener Hofs. Liest, singt und tanzt.

Esther Bejarano, 92 Jahre alt, Jüdin, geboren in Saarlouis, ist eine der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz. 18 Jahre alt ist sie, als sie ins KZ deportiert wird - in Bahnwaggons gepfercht wie Vieh. Im KZ wird sie gedemütigt. Die Haare werden ihr geschoren, sie erhält eine Tätowierung auf den linken Arm: 41948 - Esther Bejarano ist kein Mensch mehr, nur eine Nummer.

Doch dann kommt ihre Chance: Zofia Tschaikowska sucht Musikerinnen, um ein Orchester aufzubauen. Bejarano meldet sich; sie spielt Klavier. Doch ein Klavier gibt es nicht im KZ, aber ein Akkordeon. "Ich habe nie eines in der Hand gehabt. Ich sagte trotzdem, dass ich das könne. Beim Vorspielen überzeugt sie: "Es gelang mir sogar, die richtigen Akkorde zu treffen." Ihr Grinsen hat etwas Spitzbübisches.

Ausführlich schildert Bejarano ihr Schicksal, liest Auszüge aus ihrem Buch "Erinnerungen". Ganz still ist es im Raum. Die 180 Zuhörer - darunter viele junge Menschen - lauschen ihr gebannt.Ergreifend ihre Worte über das Grauen, das ihr widerfahren ist - vorgetragen ohne Anklage, ohne Hass. Worte, die ins Tiefste treffen, die wehtun. Erstaunlich, dass sie bei all dem Leid noch das Gute zu schätzen weiß.

Und dann folgen die Lieder: frischer Rap mit Texten zum Nachdenken, Kritisches, Politisches. Die Musik ist dennoch melodisch. Zwar sind viele Instrumente eingespielt - die Band Microphone Mafia ist in Kleinstbesetzung nach Trier gereist, nur Sohn Joram am Bass begleitet Bejarano und Rapper Kutlus Sprechgesang. Doch es kommt eh mehr auf die Texte an. Lieder gegen den Krieg, für die Freiheit, Songs aus den Gettos, manche Stücke sind auch im KZ gesungen worden. "Wir spielen sie, damit die Menschen nicht schweigen", sagt Bejarano, "damit sie ihren Mund aufmachen."

Sie schweigt nicht, klagt an, übt Kritik. Mit der Hymne des jüdischen Widerstands "Zog Nit Keynmol" von Hirsch Glik und der "Ballade von der Judenhure" von Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Aber auch jüdische Volkslieder sind im Repertoire und der Song "Wann jeiht d'r Himmel widder op" der Kölner Band Höhner. Dem tut der Rap-Sound richtig gut; die Zuhörer singen mit. Auch Esther Bejarano lässt sich von der Musik mitreißen und tanzt mit Kutlu. Ausgelassene Stimmung und Protest gegen Unmenschlichkeit? Ja, das passt. "Wir werden leben!"
INTERVIEW ESTHER BEJARANO

"So lange ich kann, werde ich erzählen"

Sie haben sich für das Orchester in Ausschwitz gemeldet. Was war der Hintergrund?
Esther Bejarano: Ich habe im KZ schwere Arbeit bewältigen müssen. Ich kann Klavier spielen. Und ich wusste: Ich muss ins Orchester kommen, sonst werde ich das nicht überleben.

Sie machen nach diesen Erlebnissen heute noch Musik. Wie ist das möglich?
Bejarano: Die Musik hilft mir bei der Aufklärung über Unmenschlichkeit und Rassismus. Das Wichtigste für mich ist es, die Jugend aufzuklären über diese schreckliche Zeit, über die Verbrechen, die damals begangen wurden.

Wie ist die Resonanz bei den jungen Menschen?
Bejarano: Ich bekomme ein gutes Feedback von den Schülern. Sie bedanken sich. Viele haben noch nie so etwas gehört, weil ihre Vorfahren nichts erzählen. Deshalb ist es so wichtig, dass es Menschen wie ich tun. Auch wenn es sehr schmerzhaft für mich ist. Aber es ist wahnsinnig wichtig. Wir haben so wenige, die das machen können. Denn bald ist unsere Generation weg. So lange ich kann, werde ich erzählen.

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