Ehrenrettung für ein Monster

TRIER. Zum neunten Mal luden die Uni Trier und die Antikenfestspiele zum wissenschaftlichen Symposium – diesmal sogar zur Eröffnung des Festivals 2005. Neben populärwissenschaftlichen Vorträgen stand die deutsche Erstaufführung der musikalischen Szenen "Die Geburt der Athene" im Mittelpunkt des Abends.

Manchmal wird das Bild von einem Menschen so übermächtig, dass es die Realität völlig verdrängt. So ist es dem römischen Kaiser Nero ergangen. Wer an ihn denkt, hat Peter Ustinov in der Verfilmung von "Quo vadis" im Kopf: Einen greinenden, infantilen, grausamen Herrscher, einen lausigen Möchtegern-Sänger und -Dichter, der im Größenwahn seine Hauptstadt niederbrennt und dazu vergnügt Lieder fistelt. Kurzum: ein Monster.Dem schlechten Image zum Opfer gefallen

Was der Berliner Historiker Heinrich Schlange-Schöningen beim Trierer Antiken-Symposium beschreibt, klingt anders. Ein Schöngeist und durchaus begabter Künstler sei Nero gewesen, ein passionierter Schauspieler und Wagenlenker, ein sprachbegabter Förderer Griechenlands, einer, dem Theater und Spiel wichtiger waren als kaiserliche Macht. Und damit ein Dorn im Auge der Aristokraten und einflussreichen Senatoren, die keinen unkonventionellen Bohemien auf dem Cäsaren-Thron wollten und es als unwürdig empfanden, dass sich Nero als gemeiner Künstler und Artist betätigte. Da staunt so mancher der 200 Besucher beim Antiken-Symposium und nimmt sich vor, historische Vorurteile nicht mehr ganz so ungeprüft zu übernehmen. Auch nicht jenes, nach dem Nero - zwar ein Despot, aber kein Ungeheuer - Rom angezündet hat, um eine neue Stadt zu erbauen. "Völlig abwegig", befindet der Historiker, Nero sei außer Landes gewesen, als Rom in Flammen aufging. Danach habe er versucht, der Bevölkerung zu helfen, sei aber letztlich gezielt gestreuten Gerüchten und seinem "schlechten Image" (Schlange-Schöningen) zum Opfer gefallen. Einen beträchtlichen Teil zur Legendenbildung hat Henryk Sienkiewicz beigetragen, mit seinem 1905 Nobelpreis-gekrönten Roman "Quo vadis", der auch die Vorlage zum diesjährigen Trierer Festspiel-Musical liefert. Ein "Geschichtsbild mit Modell-Charakter" habe der polnische Schriftsteller gezeichnet, sagt die Trierer Professorin Henrieke Stahl. Ein Stück, das sich ideal als Projektionsfläche für politische und zeitgeschichtliche Interpretationen und Umdeutungen eignet. In Polen half das Buch dem Nationalbewusstsein auf, in Hollywood diente die Verfilmung der Nachkriegs-Propaganda. Etliche Bearbeitungen in verschiedenen Kunst- und Medienformen lassen sich verfolgen - man darf gespannt sein, wie sich Trier mit den Antikenfestspielen da einordnet. Der Festival-Auftakt hat jedenfalls einen hochwertigen Zuschnitt, schon wegen der szenischen Aufführung der Gesänge "Die Geburt der Athene" des Schweizer Komponisten Gion Antoni Derungs. Drei große Abrechnungen dreier ungehaltener Frauen mit Göttervater Zeus, drei sprachmächtige und musikalisch vielfältig ausgestaltete Figuren aus der griechischen Mythologie, von Regisseur Bernd Schmitt mit minimalsten Mitteln szenisch überzeugend umgesetzt. Derungs, eigens zur Aufführung angereist, lässt sich stilistisch nicht festnageln. Mal lautmalerisch, mal lyrisch, mal balladesk, nutzt er atonale Elemente ebenso wie ariose Passagen. Im Mittelpunkt steht keine exerzierte Gestaltungsform, sondern die glaubhafte Umsetzung der Texte von Giovanni Netzer. Christoph Jung am Flügel gestaltet mit, lässt musikalische Bilder entstehen, breitet eine fein konturierte Decke aus, auf der sich die Sängerin sicher bewegt.Überzeugende Anwältin mythischer Frauenfiguren

Den größten Anteil am Erfolg dieser Produktion hat fraglos Angelika Schmid. Sie hat das "Stück" entdeckt, die Idee der szenischen Umsetzung unbeirrt verfolgt - und sie ist eine überzeugende, nuanciert spielende und beeindruckend singende Anwältin der drei Frauen-Figuren. Verdienter Beifall des Publikums im Audimax, ebenso wie für die gehaltvollen, aber angenehm allgemein verständlichen Vorträge und die abschließende "Stippvisite" bei der zweiten Festspiel-Produktion, Verdis Oper "Attila". Dankbarer Applaus auch für Professor Hartmut Köhler, der das Symposium acht Jahre lang betreut hat und nun in den Ruhestand geht.

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