Eigengewächs mit Perspektiven

Regisseurin, Autorin und notfalls auch noch Hauptdarstellerin: Judith Kriebel vom Trierer Theater ist multifunktional einsetzbar. Das gerade mal 29-jährige Ausnahmetalent inszeniert derzeit nach dem Riesen-Erfolg seines Karl-Marx-Stückes zum ersten Mal im Großen Haus. Die Komödie "Der Gott des Gemetzels" feiert am 12. Dezember Premiere.

 Gestenreiche Regie: Judith Kriebel mit (v. rechts) Barbara Ullmann, Tim Olrik Stöneberg und Sabine Brandauer. TV-Foto: Friedemann Vetter

Gestenreiche Regie: Judith Kriebel mit (v. rechts) Barbara Ullmann, Tim Olrik Stöneberg und Sabine Brandauer. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Man braucht ein bisschen Fantasie, um sich im kahlen Probenkeller des Trierer Theaters ein elegantes Wohnzimmer vorzustellen, das zwei Ehepaaren mittleren Alters als Kulisse für einen Psycho-Krieg dient. Yasmina Rezas neue Kult-Komödie "Der Gott des Gemetzels" bewegt sich irgendwo zwischen Boulevard und "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?". "Ein absolutes Schauspielerstück", sagt Regisseurin Judith Kriebel.

Die 29-Jährige kritzelt einen Zettel nach dem anderen mit Anmerkungen voll. Die werden anschließend akribisch mit den Schauspielern abgearbeitet. Gemeinsam kriechen sie in die Psyche der Figuren hinein, feilen an jedem Wort, jeder Geste.

Die Probenarbeit läuft zielorientiert - nicht bei jedem Regisseur eine Selbstverständlichkeit. Die junge Chefin wirkt sehr konzentriert, arbeitet viel mit den Händen und verfügt über eine Mimik, die man, klänge es nicht so altbacken, mit dem Begriff "vorwitzig" umschreiben könnte.

Ein bisschen was von einem Wunderkind hat sie schon. Spätestens seit ihrer Eigenproduktion "Rendezvous nach Ladenschluss". Ein Stück über Karl Marx sollte es werden - man hörte schon das Papier rascheln. Aber die frischgebackene Autorin Kriebel schrieb eine rasante Revue, die intelligent den ollen Marx mit der Bankenkrise, der RAF und der Generation Praktikum verknüpfte. Ein Schauspiel, wütend, witzig, wahr und von der Regisseurin Kriebel brillant in den Schalterraum der Volksbank am Viehmarkt hinein inszeniert. Noch nie war eine Trierer Produktion so wenig Stadttheater, atmete derart den aufmüpfigen Geist der freien Theaterszene. Ach ja: Als die Hauptdarstellerin kurzfristig ausfiel, übernahm die Darstellerin Kriebel auch noch diesen Part.

Es wurde ein ungeahnter Publikums-Erfolg, dank der Mundpropaganda begeisterter Zuschauer. Wiederaufnahme übrigens am 15. und 23. Januar, Besuch dringend empfohlen. "Mein Baby" nennt Judith Kriebel das Stück inzwischen. Dabei hatte sie erst bei der Recherche für ihren Text zum ersten Mal einen Blick ins Marx'sche "Kapital" geworfen.

Das Handwerk auf beiden Seiten des Vorhangs hat die Kölnerin beim Doppel-Studium in Berlin gelernt. Theaterwissenschaft und Schauspiel, dazu Arbeit in der freien Szene: keine schlechte Vorbereitung auf den 70-Wochenstunden-Job als Regieassistentin in Trier, um den sie sich 2007 bewarb.

Seither betreut sie Schauspiel-Produktionen, überwacht die abendlichen Aufführungen, spielt selbst im Theater-Sport oder aushilfsweise schon mal in der Operette mit und nutzt jede Gelegenheit, auch im kleinsten Rahmen selbst Regie zu führen. Da fällt einem Meister Zettel in Shakespeares Sommernachtstraum ein: "Lasst mich den Löwen auch noch spielen!"

Da muss man schon ziemlich theaterverrückt sein. Aber weiterkommen, daran lässt Judith Kriebel keinen Zweifel, will sie auch. So froh sie ist über die Spielräume, die ihr das Trierer Theater eingeräumt hat: Zum Saisonende hat sie gekündigt. Zukunft offen. Dass in Trier erworbene Meriten in Berlin oder Wien nicht viel zählen, ist ihr klar. Aber so bescheiden, an die eigene Chance nicht zu glauben, ist sie keineswegs. Im Gegenteil: Da weiß jemand genau, was er will. Keine schlechte Voraussetzung für das Debüt im Großen Haus mit Yasmina Reza. Die ist übrigens Schauspielerin, Autorin und Regisseurin. Und war 35, als sie mit "Kunst" ihren ersten Welterfolg landete.

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