Ein Denkmal aus Musik

TRIER. Mit 150 Produktionen an verschiedenen Häusern ist die "Weiße Rose" von Udo Zimmermann die erfolgreichste zeitgenössische Oper. Die Luxemburger Aufführung unter Leitung des Komponisten und in der Regie von Heinz Lukas-Kindermann demonstrierte die ungebrochene Faszination des Stückes.

Der ganze Boden ist mit weißem Tuch bedeckt. Links und rechts begrenzen zwei große, nach vorne offene Gitter-Käfige die Spielfläche. In der Mitte, aus den Tüchern herauswachsend, ein riesiger Fleischerhaken, blutbeschmiert. Eine Hinrichtungsstätte, im Dauerbetrieb. Hier warten Hans und Sophie Scholl auf ihre Exekution. Die letzte Stunde im Leben der Geschwister von der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" ist das Sujet der "Szenen für zwei Sänger und 15 Instrumentalisten", wie Udo Zimmermann seine Kammer-Oper genannt hat. Keine Spielhandlung, kaum Dialog - es geht um die letzten Gedanken von zwei Menschen, die sterben müssen, um Erinnerungen und Träume, um Angst und Zweifel, um den Schmerz über die Hoffungslosigkeit der eigenen Lage, aber auch um die Gewissheit, das Richtige getan zu haben. Wolfgang Willaschek hat diese Selbstgespräche und Reflektionen in eine meist expressive, manchmal auch zarte Sprache gegossen. Sie überhöht das Geschehen, ist aber nicht pathetisch. So wenig wie die völlig zurückgenommene Inszenierung von Heinz Lukas-Kindermann, die Effekte meidet, sich ganz auf die Personen konzentriert und damit die Aufmerksamkeit auf das lenkt, worauf es ankommt: das Handeln der Menschen Hans und Sophie Scholl."Stellt euch nicht blind und taub"

Überlebensgroß hat man sie gemacht, als Demonstrationsobjekte des Widerstands auf Podeste gestellt, unerreichbar - und damit ungefährlich - für andere. Wie anders ist dieses Denkmal aus Musik: Kindermann und sein Ausstatter Dietrich Schoras holen Hans und Sophie Scholl ins Leben zurück, zeigen junge Leute in Alltagskleidung. Keine Helden, aber ohne die Fähigkeit, wegzusehen, wenn Juden oder behinderte Kinder aussortiert und weggeschleppt werden in die Vernichtungslager. "Stellt euch nicht blind und taub, wenn mitten unter euch der Tod zuhause ist", fordern sie am Ende. Danach bleibt ihnen nur noch das Nachsinnen über die Frage, auf welche Weise sie hingerichtet werden. Dass Udo Zimmermanns Oper so erfolgreich ist, liegt nicht zuletzt daran, dass die Musik das Territorium des für einen aufnahmebereiten Normalhörer Erträglichen nie überschreitet. Da sind zarte, ausschwingende Melodien, Bach'sche Passionsklänge, aber auch spannungsgeladene, kraftvolle Passagen jenseits der Tonalität, die auf den Nervenenden der Zuhörer tanzen und jede Chance vereiteln, sich in Beobachter-Distanz zurückzulehnen. Und das Publikum im Studio des "Grand Théâtre" erlebt den Glücksfall, dass der Komponist selbst sein Werk interpretiert, mit einem hoch konzentrierten, präzisen, überwältigend die Dynamik wechselnden Orchester aus Dozenten des Luxemburger Konservatoriums. Mit Stephanie Krone und Thomas Blondelle hat die Aufführung zwei immens talentierte Protagonisten, deren Jugendlichkeit auch das jugendliche Alter von Hans und Sophie Scholl schmerzlich in Erinnerung ruft. Ihre Darstellungs-Intensität lässt das Publikum erschauern. Dass sie sich manche Töne der schwierigen Partien erkämpfen müssen, macht sie letztlich noch glaubwürdiger.

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