Ein Körnchen Nero steckt in jedem Herrscher

TRIER. Mit Richard Wagners selten gespielter Oper "Rienzi" haben die sechsten Antikenfestspiele begonnen. Nach zwei Jahren in den Kaiserthermen kehrte man ins Amphitheater zurück.

 Grandiose Schaueffekte bietet Richard Wagners "Rienzi" im Bühnenbild Pet Halmens im Amphitheater Trier.Foto: Friedemann Vetter

Grandiose Schaueffekte bietet Richard Wagners "Rienzi" im Bühnenbild Pet Halmens im Amphitheater Trier.Foto: Friedemann Vetter

Die Tragödie eines Politikers. Ein Mann aus dem Volk, charismatisch, populär. Einer, der es anfangs sehr ernst meint mit seinen Vorstellungen von Demokratie. Das bringt ihm Vertrauen, und das Vertrauen bringt ihm Macht. Aber je mehr Macht er gewinnt, desto weniger verdient er das Vertrauen. Er verliert den Boden unter den Füßen, glaubt sich von Gott zu seiner guten Sache beauftragt. Seine Mitarbeiter sagen ihre ehrliche Meinung nur noch in seiner Abwesenheit, seine Familie bewundert ihn kritik- und vorbehaltlos. Seine Feinde kann er besiegen, seine Freunde nicht. Sie intrigieren gegen ihn, und das Volk, das ihn gestern noch bejubelte, fordert nun sein Ende. Statt nach eigenen Fehlern zu suchen, bejammert er die Undankbarkeit der Welt. Man braucht Rienzi nicht zwanghaft zu aktualisieren, um festzustellen, wie bestürzend zeitlos Richard Wagners Polit-Drama ist. Es reicht, zwischen den Zeilen zu lesen. Heinz Lukas-Kindermann hat seine Inszenierung im römischen Ambiente belassen, in einem von Pet Halmen geschickt stilisierten Bühnenbild mit einem runden, stark geschrägten, treppengesäumten Forums-Platz und zwei mächtigen, überdimensionalen römischen Münzen als Kulisse. Kindermanns Rienzi ist weder ein idealistischer Held, der an Kabalen scheitert, noch ein verschlagener Despot, der sich an die Macht schleicht. Er ist ein Versager, der es nicht schafft, den Versuchungen der Macht zu widerstehen - eine tragische Figur, die sich zu analysieren lohnt. Dirigent Sebastian Lang-Lessing zieht am gleichen Strang. Schon die Ouvertüre zeigt, wo es langgeht: Nichts wird ausgewalzt oder ins Pathetische getrieben, das Orchester musiziert straff, spannungsgeladen, mit variablen, überraschenden Tempi, mal analytisch, mal energisch voran treibend. Keine Spur von Beliebigkeit oder Routine. Zum ersten Mal nutzt eine Produktion der Antikenfestspiele die Kulisse des Amphitheaters ernsthaft aus. Man spielt nicht mehr in der Nordkurve, sondern vor den westlichen Rängen. Das Ambiente mit seinen steilen Treppen wird für gelungene Lichteffekte und spektakuläre Aufmärsche genutzt, sogar die Zuschauertribüne wird einbezogen. Ein- übers andere Mal hält das Publikum den Atem an angesichts der beeindruckenden Bilder, die Kindermann, Halmen und Licht-Designer Ulrich Schneider in die nächtliche Atmosphäre zaubern. Wo die Optik überzeugt, leidet die Akustik

Doch was optisch so grandios wirkt, bringt musikalisch allerlei unerfreuliche Nebenwirkungen ein, für die vor allem der Chor die Zeche zahlen muss. Was an diesem Abend niemand merkt: Eigentlich ist Rienzi eine Chor-Oper, deren Handlung durch wuchtige, dynamische Chor-Passagen maßgeblich voran getrieben wird. In Trier findet der Chor allenfalls statt, und das mehr schlecht als recht. Das kann man nicht den engagierten Sängerinnen und Sängern, viele davon Laien, zurechnen. Sie müssen, bedingt durch die Bühnenkonstruktion, in Einzelgruppen singen, teils 50 Meter voneinander entfernt, mit mühsamen Auf- und Abtritten, bei denen oft noch gar nicht alle da sind, wenn die großen Einsätze kommen. So hakt vieles, wirkt wie Stückwerk, kommt als laues Lüftchen daher, was eigentlich das Publikum von den Stühlen fegen sollte. Was der Chor (Leitung: Eckhard Wagner) kann, zeigt sich, wenn es nicht auf Durchschlags-kraft ankommt, etwa beim einfühlsam gestalteten Auftritt der Friedensboten. Auch das Orchester leidet gelegentlich: Wenn die zehnköpfige Bühnenmusik irgendwo in der Pampa ohne Sichtkontakt zum Dirigenten spielt und keinen einzigen Einsatz zur richtigen Zeit und in der angemessenen Dynamik erwischt. So wirkt ausgerechnet Wagners Schlachtengemälde, ein filigran gewebtes Netz von Chor, Orchester und Banda, wie ein schlecht synchronisiertes Getriebe mit ruppigen Übergängen. Solche Einwände bleiben freilich insgesamt die Ausnahme. Dirigent Lang-Lessing hält die auseinanderstrebenden Fäden hoch konzentriert, mit eiserner Energie und einprägsamer Gestik zusammen. Davon profitieren auch die Solisten, vor allem Rollendebütant John Horton Murray. Da ist anfangs noch Unsicherheit spürbar, drohen manche Töne zu entgleiten. Aber das darstellerische Porträt, das Murray zeichnet, ist schlüssig, imponierend und von bemerkenswerter Konsequenz. Von Szene zu Szene, mit jedem Machtzuwachs, ändert sich unmerklich die Körpersprache, hält immer mehr Selbstgefälligkeit Einzug. Ein Körnchen Nero steckt in jedem Herrscher, und diese Saat lässt Murray Stück für Stück aufgehen - bis hin zum brillant ausgespielten Realitätsverlust und finalen Größenwahn. Ein larmoyanter Verlierer greint zum lieben Gott

So kompromisslos ist seine Rollengestaltung, dass er sein "Sahnestück", Rienzis Gebet, opfert: Da jammert und greint ein larmoyanter Verlierer den lieben Gott an. So weit entfernt von einem gefälligen Tenor-Schmankerl hat man das Gebet noch nie gehört, ein musikalischer Grenzgang, der das Publikum einen Moment lang irritiert. Aber Murray hat seine Kraft klug eingeteilt, dokumentiert in seiner eindrucksvollen Verfluchung am Ende eine intakte, der Monster-Rolle gewachsene Stimme. Musikalisch eine Offenbarung: Chariklia Mavropoulous Adriano. Wer verstehen will, welche Brücke vom Schöngesang Bellinis zum Musiktheater Wagners führt, muss nur ihre große Arie im dritten Akt hören. Da braucht es elegante Geschmeidigkeit und dramatische Verve im Übermaß, eigentlich müsste man über zwei Stimmen verfügen, um diese Rolle singen zu können. Mavropoulou vereinigt sie bruchlos und mit exzellentem Gespür für die Umsetzung von Text in musikalisch ausgedrücktes Gefühl. Luxuriös die Besetzung von Rienzis Schwester Irene mit Nancy Gustafson, die makellos singt und spielt. Dass man ihre ohnehin schmächtige Rolle noch reduziert hat, ist das einzig Bedauernswerte an den ansonsten gelungenen Kürzungen. Das Trierer Theater-Ensemble füllt die verbleibenden Besetzungen respektabel aus (Andreas Scheel, Nico Wouterse, László Lukács, Juri Zinovenko), besondere Erwähnung verdient der bemerkenswert prägnante Baroncelli von Peter Koppelmann. Nach gut vier Stunden spendet das Publikum ausgiebigen Beifall. Zum Enthusiasmus fehlt noch ein Quäntchen, vielleicht ebenso viel, wie der Produktion an Perfektion fehlt. Die nächsten Aufführungen: 4. und 6. Juli; Karten: 0651/7181818; www.intrinet.de/special/antikenfestspiele

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