Ein Leben im Schatten des Doms

Trier · 31 Jahre lang, von 1966 bis 1997, war Franz Ronig Trierer Bistumskonservator, und auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt blieb er in der Diözese aktiv. Wer im Dom und in Liebfrauen Gäste führen wollte, ging durch seine Schule. Ende des vergangenen Jahres hat sich der 88-Jährige als Kustos des Domschatzes intern von Dompersonal und Domführern verabschiedet.

Trier. "Meinen Sie wirklich, dass jemanden meine Erinnerungen interessieren?" - Franz Ronig fragt es mit einem Beiklang von Skepsis. Doch die ist unbegründet. Denn Ronig, der gelegentlich staunt, wie häufig er auf der Straße angesprochen wird, gehört zum Urgestein der Trierer Kultur. Aus gutem Grund. Wer die Wohnung des pensionierten Bistumskonservators im Schatten des Trierer Doms aufsucht, der spürt etwas von der Geschlossenheit, der Stille und Abgeschiedenheit geistlichen Lebens. Die hat mit Konzentration und innerer Einkehr viel zu tun, aber nichts mit Enge und Beschränkung.
Auch in der Person von Franz Ronig manifestiert sich etwas von dem Umfassenden, dem nachdrücklich Katholischen der römischen Kirche. Und wer mit ihm spricht, der bemerkt rasch: Die breit gefächerte Bildung, die ihn auszeichnet, unterscheidet sich radikal vom modischen Aufsammeln elektronisch erreichbarer Informationen. Sie geht tiefer. Sie geht bis in die persönliche Existenz.
Franz Ronig wurde 1927 in Troisdorf in einem katholischen Angestelltenhaushalt geboren. "Über Religion hat man bei uns zu Hause nicht gesprochen." Sie war einfach da. Es war diese unbefragte, diese ganz und gar selbstverständliche Katholizität, die Ronigs junges Leben prägte und die ihn und seine Familie von all den Irrtümern fernhielt, die sich im 20. Jahrhundert so erschreckend ausbreiteten.
Er fasst das heute in einen einfachen Satz: "Die Nazis waren mir zuwider." Und als die Ronigs nach einer durch materielle Not erzwungenen Zeit im heutigen Bad Hönningen 1938 nach Köln zogen, da rückten schon ganz andere Dinge in den Horizont des damals Elfjährigen. Ronig wurde früh durch den klavierspielenden Vater von der Faszination berührt, die große Musik ausstrahlen kann. In Köln lernte er im Unterricht die Inventionen von Johann Sebastian Bach kennen, jenes Opus, mit dem Bach bei seinen Schülern die "cantable Art zu musizieren" erarbeitete und einen "starcken Vorgeschmack von der Composition" vermittelte.
Geprägt durch Musik und Krieg


Für Ronig, der schon bald die Konzerte im Gürzenich und der Musikhochschule besuchte, war die Begegnung mit Bach ein Schlüsselerlebnis. Mitten im Zweiten Weltkrieg, hörte er im Rundfunk die "Matthäus-Passion". Und war für sein ganzes Leben tief berührt. Franz Ronig ist mit Musik groß geworden. Und doch hat ein weiteres Erlebnis sein Leben noch stärker geprägt. "Im Krieg wurde meine Einheit von amerikanischen Flugzeugen angegriffen", sagt er, und noch heute klingt im gelassenen Erzählton leise die Existenzangst von damals mit. Wider Erwarten gab es bei dem Angriff keine Toten, keine Verletzten - "eine wunderbare Errettung". Spätestens jetzt war dem jungen Soldaten klar, dass eine Erneuerung Deutschlands nach dem Krieg nur über Religion möglich war.
So war es kein Zufall, dass Ronig 1948 ins Trierer Priesterseminar eintrat und Seelsorger wurde. Noch ein drittes Schlüsselerlebnis hat ihn geprägt. 1941 lebte Ronig einige Monate in Dresden. Die barocke Pracht im damals völlig unzerstörten Elbflorenz hat ihn zutiefst beeindruckt. Und obwohl das musikwissenschaftliche Studium eine naheliegende Option war, entschied sich Ronig nach seinem Theologiestudium für Kunstgeschichte als Zweitstudium. Gerade der Kunst- und Architekturkenner Ronig hat der Erforschung und Erneuerung Trierer Denkmäler entscheidende Impulse gegeben. Am 1. April 1966 trat Ronig sein Amt als Bistumskonservator an, das er bis zur Vollendung seines 70. Lebensjahrs ausübte. Zeitweise war er zudem Leiter der Bauabteilung.
Rasch erwarb er sich Respekt bei den Fachkollegen. Ronig war für die kirchlichen Gebäude-Denkmäler im ganzen Bistum Trier zuständig. Ein Projekt indes stand im Mittelpunkt, und es forderte seine ganze Kraft. 1961 wurde der Dom geschlossen. Sein Bauzustand war eine akute Gefahr für die Besucher geworden. Dann begann das zähe Ringen um die Erneuerung des ehrwürdigen Gotteshauses mit seinen römischen Ursprüngen. Da bauten sich rasch Fronten auf, bildeten sich Gruppierungen, wurden Differenzen mal offen, mal nur verdeckt ausgetragen.
Ein zentraler Streitpunkt war: Soll der Putz im Dominnern erneuert werden, oder entscheidet man sich für offenes Mauerwerk? "Da standen wir auf verlorenem Posten", sagt Ronig heute. Obwohl die Denkmalpfleger für Putz plädierten, entschieden sich die federführenden Architekten Böhm und Rosiny und mit ihnen die meisten Mitglieder der Baukommission für eine unverputzte Version. Schließlich wurde im Inneren eine Schicht aufgetragen, die das Mauerwerk durchscheinen lässt. Ganz zufrieden ist Ronig damit nicht: "Ich hätte mir mehr Deckung gewünscht."
Aber im Prinzip hat er mit der Erneuerung im Dom seinen Frieden gemacht. "Den alten Dom mit seinem wilhelminischen Erscheinungsbild möchte ich auf keinen Fall wieder haben", sagt er. Und entdeckt auch in der unverputzten Version neue, fast visionäre Aspekte. Jetzt strahle das Gotteshaus ein "Nichtvollendetsein" aus - etwas, das auf das andere, das Vollkommene, verweist, auf das alle Christen ihre Hoffnung setzen. Diese zutiefst geistliche Dimension zeichnet auch den Ausbilder, den akademischen Lehrer und Professor Franz Ronig aus.
Wer heute Besuchergruppen durch Dom oder Liebfrauenkirche führt, ist durch Ronigs strenge, aber auch ungemein bereichernde Schule gegangen. Selbstverständlich hat er in den Vorbereitungskursen architektur- und kunsthistorische Kenntnisse vermittelt. Aber Ronig ging es vor allem um ein "Verständnis des Ganzen". Die Besucher, gleich welcher Nationalität und Konfession, sollen erfahren und verstehen, dass der Dom mehr ist als nur ein "Behältnis für Altäre und Reliquien". Dass in den vielfältigen Formen der Bischofskirche ein "Mysterium" verborgen liegt - etwas "Zeichenhaftes". Und dass diese Zeichen auf eine ganz andere, tiefere Wirklichkeit hindeuten. An dieser Wirklichkeit orientiert sich alle Religiosität. Und vielleicht ist der feste Glaube daran der Urgrund für die reiche, vielfältige Aktivität von Franz Ronig.

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