Ein Signal für die Großregion: Beethovens Neunte unter Koopman

Luxemburg · Beethovens Neunte in der Philharmonie hat es gezeigt: Der Symphonische Chor der Großregion ist kein kulturpolitisches Konstrukt, sondern klingende Wirklichkeit. Sein umjubelter Auftritt könnte neue Impulse für das Musikleben in der Großregion liefern.

Luxemburg. Es liegt eine kleine Sensation in der Luft. So vieles ist neu in diesem Konzert, so vieles ungewohnt - für Hörer und Interpreten. Ein Musiker, der bei Bach und der Alten Musik zu Hause ist, dirigiert erstmals Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie und bringt eine Fülle von Ideen mit. Zum ersten Mal tritt außerdem der Symphonische Chor der Großregion (federführend bei der Einstudierung: Camille Kerger) in voller Besetzung an. Und demonstriert, dass die künstlerische Zusammenarbeit der Nachbarregionen in Europas Mitte nicht nur politischer guter Wille ist, sondern künstlerisch sinnvoll.
Ton Koopman ist für die 100 Sängerinnen und Sänger ein Glücksfall. Er ersetzt rohe Stimmgewalt durch Prägnanz, Akzent-reichtum und Beweglichkeit. Und erzielt damit eine erstaunliche Präsenz. "Seid umschlungen, Millionen", das ist nicht mehr gewaltsam hochgestemmte Kraftmeierei, sondern eine Art klingendes Ausrufezeichen. Und weil die Akteure nicht ständig mit letzter Kraft dabei sein müssen, gelingen auch heikle Passagen wie die mörderischen Sopranhöhen gegen Ende des Satzes. Auch bei den Solisten rangiert Beweglichkeit vor Lautstärke. Mezzo Marie-Claude Chappuis, leider nicht ganz intonationsrein, und die koloraturengewandte Sopranistin Malin Hartelius setzen über Jörg Dürrmüllers hellen Tenor und Konstantin Wolffs jungen Bariton warme Glanzlichter, ohne zu dominieren.
Mit dem Orchestre Philharmonique demonstriert Koopman schon vor der Pause bei Haydns Sinfonie Nr. 99, was ihm bei Wiener Klassik wichtig ist: die deutlichen Klangkonturen, die energischen Akzente, Streicher fast ohne Vibrato, starke, gelegentlich dominierende Bläser - vor allem aber ein gestenreiches, rhetorisches Musizieren.
Bei Beethoven vertieft der Dirigent sein Konzept. Die Streicher-Einwürfe zu den leeren Quinten der Einleitung kommen rhythmisch äußerst prägnant, und das folgende Tutti klingt nicht wuchtig, sondern geschärft und fast aggressiv. Das Scherzo brennt vor Intensität - nicht dank Tempo und Lautstärke, sondern Energie in der Artikulation. Und die Bassgruppen-Rezitative im Finale: Wie überzeugend zeichnen sie Fragen, Ablehnungen und schließlich Zustimmung nach.
Dabei geht es nicht ganz ohne Defizite ab. In Haydns Sinfonie überlagert die Deutlichkeit stellenweise den geistreichen Witz der Musik. Den langsamen Satz in Beethovens Neunter nimmt Koopman erstaunlich unruhig (und deutlich schneller, als Beethovens Metronom-Angaben nahelegen). Er verschenkt damit die herrliche Entwicklung vom intimen Beginn zur ausladenden Klangfläche. Trotzdem: Mit diesem Konzert könnte im Musikleben der Großregion eine neue Zeitrechnung beginnen - davon zeugt auch der Jubel der 1450 Besucher in der ausverkauften Philharmonie. mö

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