Ein Strich - so scharf wie seine Gedanken

Einer der ganz großen der zeitgenössischen Kunst ist zu besichtigen. Zum 80. Geburtstag von Alfred Hrdlicka hat das Georg-Meistermann-Museum in Wittlich dem Wiener Bildhauer und Grafiker eine Ausstellung ausgerichtet.

Wittlich. Ein bequemer Zeitgenosse war er weiß Gott nie. Alfred Hrdlicka haben seine Skandale mindestens ebenso oft in die Schlagzeilen gebracht, wie seine Kunst. Wo ihm danach war, rempelte und rüpelte er. Berüchtigt sind gleichermaßen seine spitze Feder wie seine Alkoholexzesse und seine unermüdlichen Attacken gegen die Amtskirche und jede Art von Establishment. Einen Proleten schimpfen ihn die einen, einen unverbesserlichen Altkommunisten die anderen. Einig sind sich freilich selbst seine Feinde: Alfred Hrdlicka ist einer der größten Steinbildhauer des zwanzigsten Jahrhunderts und gemeinsam mit seinem Kollegen Horst Janssen (der übrigens von ähnlichem Temperament war) auch der beste Radierer der vergangenen hundert Jahre. Die Jubiläumsschau, die neben einigen Aquarellen weitgehend Radierungen und Zeichnungen enthält, ist gemeinsam mit der Wittlicher Galerie Bose entstanden. Das Ehepaar Bose, das seit langem mit dem Künstler befreundet ist, gehört zu den nachhaltigsten Hrdlicka-Sammlern. Wer durch die Bilderschau geht, dem stellt sich nicht nur der grandiose Radierer und virtuose Zeichner dar, dessen Strich so scharf ist wie seine Gedanken. Er erfährt auch viel über Persönlichkeit und Motivation des Künstlers. Kunst bedeutet stets Kampf

Für das Arbeiterkind aus der Wiener Vorstadt, das für seinen kommunistischen Vater Flugblätter warf, bedeutete Kunst stets Kampf. Noch unlängst hatte er in einem Gespräch mit dem TV auf die Frage, ob er das Flugblattwerfen nicht lebenslang betrieben habe, bestätigt: "Ja, auch in der Kunst habe ich nichts anderes getan". Gleichwohl musste auch der kompromisslose Kämpfer gegen jedwede Art von Unterdrückung und Ungerechtigkeit bisweilen einsehen, dass er vorschnell seine Idee von der Welt für die Welt gehalten hatte. Wie empfindlich Hrdlicka den Nerv seiner Zeit trifft, wird auch in Wittlich sichtbar. Manch ein Thema nährt sich zweifellos aus dem Boden der österreichischen Kulturlandschaft. Den biedermeierlichen Schmarrn vom harmlosen Franzel Schubert zerstört er ebenso brutal wie den zuckersüßen Mozart-Kugel-Kitsch. Doch nicht nur ums Entlarven geht es. Wer Hrdlickas geniale aber schonungslose Offenheit besichtigt, muss sich auch der Frage stellen, ob er die Wahrheit ( nicht nur der Kunst) aushält. Hrdlicka ist auch andernorts Kind seiner Heimat. "Alle Gewalt geht vom Fleisch aus", wird der Freud-Anhänger gern zitiert. Die Lehre des Wiener Psychoanalytikers vom Urtrieb Sexualität und seine gewalttätigen Folgen treibt seit jeher den Mann um, der heute selbst aussieht wie seine eigenen Bronzeplastiken. Unzählige Male hat sein Strich sexuelle Gewalt im Kindesmissbrauch, als Gewalt gegen Frauen oder schlicht als Obsession gegeißelt. Die gleiche Schärfe treibt den Katholiken Hrdlicka, wenn er der Kirche ihr irdisches Spiegelbild vor Augen hält. Hrdlicka: ein Polemiker, ein Wahrheitsfanatiker oder ein blinder Idealist? Man mag über seine Motivationen streiten. Gleichwohl kommt man nicht umhin zu sehen, dass all diese kritische Kunst der Wahrheit einer inneren Not entspringt. Am eindrücklichsten wird das im wunderbaren Radierzyklus "Randolectil" (nach einem Psychopharmakon) offenbar. Man darf annehmen, dass Hrdlicka selbst in einem Leben voller Triumphe aber auch voller Kränkungen, Niederlagen und Exzesse durch die Nacht dieser Vorhölle gegangen ist. Trost daraus verspricht die schönste der hier gezeigten Zeichnungen. "Der Tod und das Mädchen" zeigt einen ganz anderen zarten und feinsinnigen aber nicht weniger genialen Hrdlicka. Öffnungszeiten Di-Fr 10-12 Uhr u.14-17 Uhr, Sa 11-17 Uhr, Sa 11-17 Uhr, So u. feiertags 14-17 Uhr, bis 27. April´, Tel.: 06571-14660 Extra: Nach einer Zahntechnikerlehre studierte der 1928 in Wien geborene Hrdlicka an der Akademie der Bildenden Künste ihn Wien Malerei und Bildhauerei. Seit 1971 war er als Hochschullehrer in Stuttgart, Hamburg und Berlin tätig. 1989 wurde er als Professor an die Hochschule für Angewandte Kunst nach Wien berufen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort