Ein dirigierender Solist

Martin Möller hat István Dénes vom ersten Probedirigat an begleitet, als dieser 1994 eine "Rigoletto"-Aufführung geistesgegenwärtig vor dem Absturz rettete. Er rezensierte Konzert- wie Musiktheater-Aufführungen.

Da werden einige Zuhörer den Atem angehalten haben. Mitten in Bachs ernstem, männlich-markantem D-Moll-Klavierkonzert steigt der dirigierende Solist aus, und ein paar Momente lang scheint es, als würde die Aufführung aus dem Gleis geraten.István Dénes war dieser dirigierende Solist. Gerade mal ein paar Wochen als Trierer GMD im Amt, hatte er für das 1. Sinfoniekonzert am 12. Oktober 1995 ein Konzept parat, das mit allen Stärken und Schwächen programmatisch wurde für seine Amtszeit. Zwei Wochen vorher hatte er den "Rosenkavalier" dirigiert - hoch sensibel und fern von aller Straussischen Mächtigkeit. Jetzt scharte er die Streicher des Trier-er Orchesters um sich und den Flügel und praktizierte geradezu demonstrativ ein Modell musikalischer Leitung, das gleichermaßen vielversprechend und risikobelastet war. Statt sich zum Karajan-Verschnitt zu stilisieren, dessen imperiale Gestik auf Orchester und Publikum zielt, suchte Dénes die Zusammenarbeit, das kammermusikalische Miteinander mit den Musikern, zu deren Chef er bestellt war. Und so wurde, was sich im Augenblick ausnahm wie eine knapp vermiedene Katastrophe, auch ein glänzender Beleg gemeinsamer Verantwortung. Das Orchester spielte seinen Part nämlich nicht stur herunter, sondern stützte den Solisten, der sein Chef war und half ihm, den roten Faden wieder zu finden. Vielleicht - nein, gewiss hält ein solches Kooperationsmodell nur begrenzte Zeit. Und im Rückblick kann als sicher gelten, dass eine frühere Trennung für alle Seiten sinnvoll gewesen wäre. Aber es ist ungerecht, eine Beziehung nur aus der Perspektive ihres Scheiterns wahrzunehmen. István Dénes und seiner Zusammenarbeit mit den Philharmonikern verdanken wir feinfühlige, interessante, spannende, gelegentlich zur Kontroverse einladende Auseinandersetzungen mit der Wiener Klassik, einen entschlackten, oft substanzreichen, selten banalen Bruckner, einen fast elegant fließenden, von pointierter Wucht und gezwungener Tiefe freien Wagner und schließlich einen seelenvoll-beschwingten Walzerstil. Manch einer wird seine leichte, gelegentlich wohl auch zu leichte Hand vermissen, wenn die Ära Dénes in Konstantins Hauptstadt zur lokalen Musikgeschichte gehört.

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