Ein emotionaler Häuptling

LUXEMBURG. Legendenpflege im Luxemburger Musikclub "Den Atelier": Willy DeVille kam zum Warm-up für seine Herbsttournee durch Europa und bescherte dem Publikum einen 140-Minuten-Streifzug durch ein unglaublich breites Repertoire.

Es gibt Konzerte, deren Besuch sich schon wegen eines einzigen Titels lohnt. Zum Beispiel, wenn Willy DeVille "Let it be me" singt. Ein Schmachtfetzen der Everly Brothers aus den Fünfzigern, im Original von Gilbert Becaud (!). Ein einfaches, sentimentales Liebeslied, das die Hoffnung ausdrückt, die Freundin oder Frau werde einen nie verlassen. Aber DeVille presst es heraus mit seiner rauen Stimme, andächtig, fast ein bisschen angstvoll. Keine Geigen, kein Schlagzeugteppich, nur ein zurückhaltendes Klavier und ein fast überhörbarer Kontrabass - Emotion pur, mit einem brutal tiefen Basston am Ende, der sich im Gehörgang festkrallt, als wolle er das Gefühl für immer konservieren. Da ist es plötzlich mucksmäuschenstill im Atelier, selbst an der Theke verstummen die Verkaufsgespräche. Willy DeVille packt sein Publikum immer noch, auch nach 35 Jahren auf der Bühne. Es gibt nicht viele Sänger, die solche Wandlungen mitgemacht haben wie er. Unvergessen sein erster Rockpalast-Auftritt mit "Mink de Ville" 1981, ein schmieriger, aufgeblasener Zuhältertyp, dessen Show so unsympathisch rüberkam, dass das Publikum ihn auspfiff, ohne seiner Musik wirklich zuzuhören. Er kann immer noch über sich selbst lachen

Ein bewegtes Musiker-Leben, reichlich Gipfel und Abstürze, ein paar Auftritte als Schauspieler, die Drogensucht, über die er sich auf der Bühne mit milder Selbstironie lustig macht: "Ich hatte schon schlimmere Laster", grinst er, als er sich im (rauchfreien) Atelier die sechste Kippe hintereinander anzündet. Der Schnäuzer ist ab, die Haare lang und glatt, er erinnert an einen alten Indianerhäuptling kurz vor dem Ende der entscheidenden Schlacht. Mit "Mixed-up-shook-up-Girl" hat er sogar noch einen Titel aus der seinerzeitigen Rockpalast-Setlist im Programm. Es klingt, als zelebriere Van Morrison diesen Soul-Klassiker. Die stimmliche und stilistische Wandlungsfähigkeit DeVilles ist mit Worten schwer zu beschreiben. Er singt Blues wie ein Blues-Sänger, Rock'n'Roll wie ein Rock'n'Roller, klingt bei Dylans "Ballad of Billy the Kid" wie ein Liedermacher und bei Sinatras "Personality" wie ein Swing-Spezialist. Mal singt er inbrünstig, mal persiflierend, und bisweilen erinnert er in seiner radikalen Eigenwilligkeit an Tom Waits oder Nick Cave, ohne freilich jemals das bewusst Schräge zu suchen. Das Wunder ist: Bei alledem ist DeVille immer DeVille, kein Cover-Sänger, sondern einer, der sich jeden Titel konsequent zu eigen macht. Das wird erst möglich durch die exzellenten Begleitmusiker: Sein langjähriger Kontrabassist David Keyes und ein junger Debütant am Klavier, dessen Name in DeVilles genuschelter Ansage irgendwie nach "Dan Brown" klingt. Das Trio sitzt höchst relaxed in einer Art Bar-Ambiente auf der Bühne, Willy DeVille sucht das Repertoire aus einer Ringbuchmappe mit Texten aus. Gelegentlich wirkt er ziemlich abwesend ("Mann, ist der breit", sagt einer im Publikum), dann glänzt er mit schlagfertigen Sprüchen. Gut zweieinviertel Stunden dauert das Programm, recht lang für seine Verhältnisse. Dann tobt, johlt und klatscht der Saal zehn kraftraubende Minuten lang um eine Zugabe - aber der Sänger kommt nicht mehr. "Der liegt unterm Sauerstoffzelt", vermutet eine langjährige DeVille-Konzertbesucherin. Falls es so sein sollte: Er hat es sich verdient.

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