Ein großer Tag für die Musik

TRIER Am Ende jubelten alle im voll besetzten Dom. "Kathedralklänge" - der Trierische Volksfreund präsentierte ein großartiges Konzert, eine einzigartige Verbindung aus Massenwirkung und musikalischer Differenzierung.

 Imposant, überwältigend: Rheinland-pfälzische Chöre gemeinsam im Trierer Dom.Foto: Hans Krämer

Imposant, überwältigend: Rheinland-pfälzische Chöre gemeinsam im Trierer Dom.Foto: Hans Krämer

Überwältigend! Momente, in denen die berühmte Gänsehaut über den Rücken läuft. Fünf Domchöre aus Rheinland-Pfalz, ein Dutzend hervorragender Blechbläser und die Bassgruppe musizieren Giovanni Gabrielis vierchörigen Lobgesang aus Psalm 46: "Ihr Völker alle, klatscht in die Hände, jauchzet Gott zu mit großem Jubel." Da klingt etwas Umfassendes mit. Was könnte eindringlicher den Weltanspruch von Gottes Wort wiedergeben? In den Stücken zuvor hatten sich die 280 Sängerinnen und Sänger in wechselnde Gruppen geteilt, hatten mal miteinander, mal alternierend musiziert, und die Knaben des Mainzer Domchors setzten dem Apparat helle, schmale Glanzlichter auf. Am Schluss zeigten sie, dass sie auch vereint mehr können, als nur Lautstärke zu produzieren. Ein großer, ein starker, ein mächtiger Chorklang. Aber auch klar, hell, bemerkenswert intonationssicher, textdeutlich und flexibel. Wie eine große Orgel, die auch im vollen Werk ihren Charakter behält. Fünf in Gesangskultur, Intonationssicherheit und rhythmischer Präzision hervorragend geschulte Chöre tun sich zusammen, und das Ergebnis glänzt in jedem Takt mit Klarheit und Konturen. Einige Fragezeichen lassen sich gewiss setzen. Vielleicht hinter die allzu markierten Palestrina-Interpretationen, obwohl sich das Resultat auf den letzten Reihen der voll besetzten Trierer Domkirche gewiss anders anhört als vorne. Vielleicht fehlte Michael Praetorius' Choralmotette über das Luther-Lied "Gott, der Vater wohn' uns bei" die, sagen wir, protestantische Deutlichkeit. Und die "Statuit"-Vertonung von Arvo Pärt blieb in diesem Zusammenhang eher blass und enttäuschend. Nur: Was zählt das schon angesichts der Fülle und Differenzierungen! Wie viele unterschiedliche Elemente kommen zusammen! Der konzertante Zug im Magnificat von Ludovico Grossi da Viadana. Die sich gegenseitig steigernden Jubelchöre im "Cantate Domino" des Jacobus Gallus. Die verinnerlichte Frömmigkeit von Josef Gabriel Rheinbergers "Vater unser", eines der wenigen doppelchörigen Werke des 19. Jahrhunderts. Immer wieder gelingt Matthias Breitschaft, Leo Krämer, Stephan Rommelspacher und Dan Zerfaß die Balance zwischen Deutlichkeit und Fülle, zwischen Prägnanz und Klangglanz - würdig, nicht behäbig, beschwingt ohne Hektik und mit dem sicheren Wissen um Klangwirkungen und Textbezüge. Dazwischen die exzellenten Bläser mit einer Tanzfolge von Michael Praetorius, einer Suite aus Monteverdis Oper "L'Orfeo", deren Sätze freilich meist in der Unterwelt spielen, und wie als Vorklang zum großen Abschluss, die herrlichen mehrchörigen Canzonen von Giovanni Gabrieli. Der Schlussblock, welch ein Erlebnis! Zwei vierchörige Motetten von Gabrieli, die eine 16-stimmig, die zweite 19-stimmig. Die Domchöre aus Trier, Worms, Speyer und Mainz, die Mainzer Domkantorei St. Martin, dazu die Dombläser aus Mainz, Worms und Speyer - sie beschwören gemeinsam die universale Kraft dieser religiösen Musik. Der ehrwürdige Trierer Dom tönt, Harmonie überall. Und am Ende in der katholischen Bischofskirche der protestantische Gabrieli-Schüler Heinrich Schütz. Psalm 136 mit drei Chören, Trompeten, Soli und Generalbass. Stephan Rommelspacher hebt die Arme zu energischer Gestik, und sie musizieren diesen Jubelpsalm anders als noch Gabrieli: geschärft, offensiv, fast aggressiv. Diese Komposition, die den Vers "Denn seine Güte währet ewiglich" einhämmert wie einen Propagandasatz, eröffnet eine neue Welt. Er ist ein Stück barockes Theater. Musik, die überreden, überzeugen, mitreißen will. Das hat sie getan. Jubel, stehende Ovationen und noch einmal die Schlusstakte. Bischof Marx eilte durch die Reihen, um zu gratulieren. Ein großer Tag für die Musik.

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