Eine Reise ins Paradies

TRIER. Mit einem bunten Mix aus Walzer, Musical und Operetten-Melodien brachten Andre Rieu und sein Orchester die Fans in der Trierer Arena zum Schunkeln und Tanzen. Selbstredend, dass Walzer an diesem Abend der angesagteste Tanz war.

Menschengruppen stehen vor der Arena, unterhalten sich, nehmen noch ein Bier in der Bar der Veranstaltungshalle, ein "Hallo" hier, ein "Guten Abend" dort - Trier wirkt großstädtisch in dieser Nacht, in der Hollands Meistergeiger André Rieu aufspielt. Nüchtern-sportlich erscheint die Arena von außen, die kaum verbergen kann, dass Leibesübungen und Ballkämpfe in ihr die dominierende Rolle spielt. Funktional und schlicht wirkt der Vorraum. Aber hinter der Tür zur Halle ändert sich die Welt. Die Arena wird zum Ballsaal

45 Kronleuchter illuminieren die Arena und tauchen sie in ein sanft-weiches Licht. Weihnachtssterne zieren die Bühne, Lichterketten bringen Stimmung. Auf eine Leinwand wird ein übergroßer Sternenhimmel projiziert. Rieus Mitarbeiter haben in Meisterleistung eine Mehrzweckhalle in einen stimmungsvollen Konzertsaal verwandelt. Willkommen im "Romantic Paradise"! Und so heißt auch die Tournee des holländischen Stradivari-Geigers, der vor rund zehn Jahren mit seinem Salon-Orchester für die Renaissance des Walzers sorgte. Rieu bereitet seinen Fans einen Abend, der die Welt draußen vor der Türe vergessen lässt und nach innen führt. Erinnerungen und Gefühle werden geweckt. Ein Konzept, das in einem Deutschland im Dezember 2003, das von Steuer, Renten- und Wirtschaftsrezessionsdiskussionen geprägt ist, auf das Trefflichste funktioniert. Ein Gong ertönt, noch zehn Minuten. Die Harfe wird gestimmt, Zuhörer funktionieren ihre Jacken in Sitzpolster um - wohl dem, der seine Jacke an der Garderobe nicht abgegeben hat. "Er hat auch mal vorm Dom bei uns gespielt, da hatten wir schönes Wetter", erzählt die Dame nebenan ihrer luxemburgischen Nachbarin. Diese wiederum schildert einen spektakulären Rieu-Auftritt in Mondorf mit moselfränkischem Akzent: Der Geiger verbindet die Nationen. Die Bühne ist lila angestrahlt, und ein orangfarbener Spot zielt auf Rieu, der um punkt 20 Uhr auf der Bühne steht: Professionalität bis auf die Sekunde. Und nicht nur das Zeit-Management an diesem Abend ist professionell. Rieu ist gleich dreimal zu sehen, denn zwei große Bildschirme flankieren die Bühne. Vier Hochleistungs-Kameras mit lichtstarken Tele-Objektiven können jedes einzelne Gesicht auf der Bühne in Nahaufnahme zeigen. Da muss das Make-Up der Musikerinnen bis auf den letzten Lidstrich stimmen. "Schenkt man sich Rosen in Tirol" - der erste Walzer ertönt und der 54-jährige Rieu versichert:"Wenn ich meine Geige in die Hand nehme, fühle ich mich wie 18." Das tut er überzeugend und setzt mit einem Solo nach. "Für Julia" beschreibt eine große Liebe, und - dank der Kameras - ist Julia dann auch auf den großen Bildschirmen zu sehen. Überhaupt setzt Rieu an diesem Abend auf multimediale Effekte. Zu einer Polka von Eduard Strauß, die das Motiv der Eisenbahn verarbeitet, lässt er Trockeneisnebel aufsteigen und einen Schaffner pfeifend über die Bühne laufen. Mit der Boulevard-Presse rechnet Rieu auf seine eigene Weise ab. Er spielt den "Morgenblatt"-Walzer von Strauß und lässt seinen Damen-Chor dazu anmutig die "Super-Illustrierten" hinter den Rücken werfen - natürlich in Nahaufnahme. Rieu kommentiert gerne die vorgetragenen Stücke und macht das eine oder andere Witzchen. "Der ist ganz schön frech", ist von der Sitznachbarin zu hören, aber sie schmunzelt dabei. Neben den Entertainer-Qualitäten beeindrucken Rieu und sein Orchester ebenso mit außergwöhnlichen musikalischen Leistungen. Karin, Karla und Susan heißen Rieus "Superstars" an diesem Abend. Die drei Sängerinnen nehmen das Publikum rasch für sich ein. Vor der Pause geben sie mit "The Rose" eine erste Kostprobe. Rieu hat eigene "Superstars"

Mit der "Leichten Kavalerie" von Suppé endet der erste Teil des Konzertes, der vollends dem Walzer gewidmet war. Nach der Pause wird das Repertoire bunter. Zu "Tea for Two" spielen nur die Frauen des Ensembles während die Männer ein spaßiges Ballett darbieten. Für die Solistinnen schlägt nun die große Stunde. Karin intoniert "Meine Lippen, die küssen so heiß", notengetreu bis zum höchsten Ton unglaublich sicher und routiniert vorgetragen. Mit "Over the Rainbow" aus dem Musical "Der Zauberer von Oz" demonstriert Susan eindrucksvoll ihre kristall-klare Stimme. Nach den Solo-Darbietungen kommt die Zeit fürs Tanzbein-Schwingen. "An der schönen Donau" ertönt, Rieu fordert auf, und das Publikum lässt sich nicht lumpen. Paare beginnen zu tanzen, es wird mitgeklatscht. Nach rund zweieinhalb Stunden beschließt ein Luftballon-Regen das Konzert. Als letzte Zugabe, nach einer eindrucksvollen "Carmina Burana", ertönt "Old Glory" aus einem Dudelsack. Standing Ovations, brandender Applaus, Walzertanzende Paare, Gejohle, stampfende Füße - Rieu hat es mal wieder geschafft. Von dieser Leistung, sein Publikum mit guter Laune und Lebenslust zu füllen und auch ältere Paare zum Tanzen zu bringen, könnte sich so mancher Rockmusiker eine Scheibe abschneiden. Weitere Fotos vom Konzert gibt es in unserem Clickme-Bereich

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