Eine Sache zwischen Männern und Frauen

TRIER. Gelungener Start in die Festspiel-Saison 2006: Bettina Rehm zeigt mit ihrer Inszenierung von "Medea" einen frappierend aktuellen Euripides ohne zwanghaft aktualisierende Mätzchen, gespielt von einem Ensemble in Bestform.

Ein Abend wie aus dem Bilderbuch. Die am Markusberg untergehende Sonne taucht die Kaiserthermen in ein minütlich milder werdendes Licht, der leichte Wind verscheucht die Schwüle des Tages, ohne ein Frösteln zu verursachen. Wohlgefühl macht sich breit. Wäre da nicht der Mann mit dem Schlagzeug. Lange bevor das Stück beginnt, trommelt er schon die Ouvertüre. Mal tönt ein fernes Donnergrollen von der Bühne, dann ein Getöse, als schlüge der Blitz in nächster Umgebung ein. Man hört Gewehrsalven heraus, aber auch besänftigende Töne. Der Perkussionist Jochen Krämer erzählt von Medea, während sie noch stumm unter einer Decke auf den Mauern der römischen Ruine ruht. Während die Zuschauer noch über das WM-Spiel vom Mittag oder die Härte der Sitzschalen plaudern. Claas Willekes Collage aus Geräuschen und Klängen bleibt den ganzen Abend lang ein elementarer Bestandteil der Inszenierung, kommentierend, treibend, kontrastierend, im Dialog mit den Akteuren. Während des (nicht sichtbaren) Kindermordes erzeugt Krämer ein metallkratzendes Inferno. Geräusche am Rande des Erträglichen, um einen unerträglichen Vorgang zu illustrieren. Eine Inszenierung von bestechender Musikalität

Diese Trierer "Medea" ist von einer bestechenden Musikalität. Auch wenn der völlige Mangel an akustischer Gefälligkeit das Publikum polarisiert. Der brillant einstudierte Chor (Hille Beseler, Claudia Felix, Jan Brunhoeber, Manfred-Paul Hänig, Alexander Ourth, Tim Olrik Stöneberg) rezitiert keine Texte, er beackert sie, zerreißt sie, verwandelt sie in Sprechgesang und vollbringt doch das Kunststück, die Verständlichkeit zu erhalten. Und er zeigt das wetterwendische Volk in seiner ganzen Widersprüchlichkeit, das von Medea mal Anpassung verlangt, dann wieder Verständnis für ihren Zorn hat, das mahnend und warnend eingreift und dann wieder, Salzgebäck mampfend, dem Ehekrach von Medea und Iason zuschaut, als säße man vor der Glotze. Der Chor ist nicht der einzige Glücksfall an diesem Abend. Da ist auch die Übersetzung von Peter Krumme, die Euripides behutsam, verständlich und ohne Effekthascherei in die sprachliche Gegenwart überträgt. Da ist die Ausstattung, die bei Bühnenbild (Manfred Breitenfellner) und Kostümen (Susanne Füller) unaufdringliche Zeitlosigkeit herstellt, indem sie aktuelles Kolorit andeutet, aber dabei nie den Blick auf den Kern der Handlung verstellt. Letzterer ist bei Regisseurin Bettina Rehm weder die Studie einer monströsen Psychopathin noch ein mitleidiges Plädoyer für ein Opfer gesellschaftlicher Missstände - obwohl solche durchaus anklingen. Diese "Medea" des Euripides ist eine Sache zwischen Frau und Mann, genauer gesagt: zwischen Frau und Männern. Das sind keine kompatiblen Wesen, sagt der alte Grieche, zweieinhalb Jahrtausende vor Allan und Barbara Pease, und unendlich viel genauer und damit schmerzhafter. Wie im Brennglas zeigt das der große Dialog zwischen Iason und Medea, die ihm alles geopfert hat, Heimat, Familie, Existenz, und die nun eingetauscht wird gegen eine zweckmäßigere Partie. Das könnte auch ein Film von Ingmar Bergmann sein, diese Szenen einer kaputten Ehe in antiken Kulissen. Dialoge wie in einem Film von Ingmar Bergmann

Da reden zwei miteinander, die sich nicht einmal ansatzweise verstehen: Die tödlich verletzte und gekränkte Medea und ihr Exmann, der ihr mit kühler Logik vorrechnet, dass sie unterm Strich trotz aller Malessen besser wegkommt, als wenn man sich nie kennen gelernt hätte. Diese Szene saugt das Publikum in die Bühne hinein. Das funktioniert, weil der exzellente Michael Ophelders keine Karikatur spielt, weder einen tumben Macho noch einen feigen Verpisser. Das ist ein Scheidungsvater, der am Wochenende mit Geschenken für die Kiddies vorbeikommt und tatsächlich glaubt, dass seine verlassene Frau eigentlich gar keinen Grund hat, sich aufzuregen. Schließlich zahlt er ja für seinen Nachwuchs, und eigentlich hat er sich nur neu orientiert, um die gesellschaftliche Position abzusichern. Und Medea? Heike Trinker spielt sie grandios schmucklos, mit fast hyperaktivem Bewegungsdrang, als wolle sie weglaufen vor dem, was sie am Ende tut. Da steht gottlob keine antike Statue, die mit wachsender Hysterie eindrucksvolle Texte deklamiert. Da wird - bar jeder Trivialität - fast alltäglich gesprochen, argumentiert, zu überzeugen versucht, solange es noch irgend eine Chance gibt, zu überzeugen. Aber da ist keiner, der ihr hilft. König Kreon (Peter Singer) wirft sie raus, weil sie stört, König Aigeus (Klaus-Michael Nix) ist politisch zu gewieft, um wegen ihr einen Konflikt zu riskieren, der Bote (stark: Christoph Bangerter) und die Erzieher (Ulrike Walther, Hans-Peter Leu) haben nichts zu sagen. Dass sie ihre Kinder tötet, wird erst möglich, als sie ihren Schmerz nicht mehr herausschreit, -stöhnt und -weint, sondern sich Männer-Logik zu Eigen macht: "Es geht nicht anders", sagt sie zu sich selbst, der Mord ist der rationalste Weg der Rache, das probateste Mittel zum Zweck. Also gibt es keine Alternative. Diese Medea ist, gemessen an dem, was in Trier geht, großes, zeitgemäßes Theater, mit einem bestechenden Regie-Konzept. Wäre schade, wenn die Trierer es nicht sehen wollten. Bei der Premiere, wo sich ohnehin reichlich Sponsoren und Politiker tummeln, blieben zum ersten Mal Plätze leer. Die, die da waren, waren sichtlich begeistert.

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