Eine Scheibe, die Geschichte machte

London · Vor 50 Jahren erschien das erste Konzept-Album der Popmusikgeschichte: "Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band." Nicht nur die Songs galten als revolutionär; das gleiche Prädikat wurde auch dem Plattencover zugebilligt.

Eine Scheibe, die Geschichte machte
Foto: (g_kultur

London Quizfrage: Auf welchem Foto ist Karl Marx neben Marlene Dietrich zu sehen, Johnny Weissmüller neben George Bernard Shaw, Mae West neben Oscar Wilde? Gibt's nicht? Gibt's doch. Es war die geniale, verrückte, verschwurbelte Idee von vier jungen Männern, die sich schon seit einer Weile auf dem Gipfel der Popularität befanden und nun der Meinung waren, dass ihr Weltruhm mit etwas Neuem getoppt werden musste.
"Es schien, als würde ihnen künstlerisch alles gelingen ... Was sie in Angriff nahmen, funktionierte, ihre Zuversicht ... war grenzenlos. Weil sie wussten, dass sie ihre Songs nie live spielen würden, fühlten sie sich in ihren schöpferischen Möglichkeiten völlig befreit." So der Autor Peter Kemper, ein erklärter Fan der Beatles im Allgemeinen und des "Sergeant Pepper"-Albums im Besonderen, in seinem in der Reihe "100 Seiten" erschienenen Reclam-Buch, das die Entstehungsgeschichte des ersten Konzept-Albums der U-Musik nacherzählt.
Ein Album, das am 1. Juni vor 50 Jahren erschienen ist (in Deutschland sogar schon zwei Tage früher, am 30. Mai) und auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Geburt nichts von seinem ungewöhnlichen, revolutionären, frischen Sound verloren hat.
Kemper spürt den Entstehungsbedingungen der 16 Songs nach, in denen es für Paul McCartney und John Lennon keinerlei musikalische, instrumentale und technische Grenzen zu geben schien. Was das Spezielle eines jeden Liedes ausmacht, vom psychedelischen "Lucy in the Sky With Doamonds", dem Ohrwurm "Penny Lane", den verrätselten "Strawberryfields forever", dem (wohl am meisten gecoverten) "With a little help from my friends", dem melancholischen "She's leaving home" und dem (nicht völlig kitschfreien) "When I'm sixty-four" - das analysiert Kemper minutiös, sozusagen Takt für Takt und take für take, denn der technische Apparat, der für dieses Album in Stellung gebracht wurde, war bis dato einmalig gewesen.
Es war dann auch nicht nur die Musik, die auf einem Kassettenrekorder aufzunehmen dem Autor nicht ausreichend erschien, um diese Platte zu würdigen.
Mindestens ebenso wichtig für den Gesamtgenuss dieses Gesamtkunstwerks war die Hülle, "das einzige Album der Pop-Geschichte, dessen Cover genauso viel Aufmerksamkeit erregte wie die Musik selbst" (Kemper).
Nie zuvor war so viel Aufwand für eine Schallplattenverpackung betrieben worden; gleich drei Künstler kümmerten sich um die Gestaltung: der Galerist Robert Fraser, der Pop-Art-Künstler Peter Blake, dessen Frau Jann Haworth und der Fotograf Michael Cooper.
Sie lichteten die Beatles in Fantasie-Uniformen ab, inmitten von Blumen, Gartenzwergen und Stofftieren sowie 70 Personen und Persönlichkeiten der Welt- und Kulturgeschichte. Hitler und Jesus, die John Lennon gerne mit aufs Cover genommen hätte, wurden allerdings abgelehnt. Zu groß war das Risiko, manch einen vor den Kopf zu stoßen, hatte Lennon doch noch kurz zuvor behauptet, die Beatles seien berühmter als Jesus, was für ziemliche Wallung gesorgt hatte. Und ein Massenmörder hätte nun auch nicht wirklich auf ein Album gepasst, das nicht zuletzt auch eine Botschaft für love and peace sein wollte.
"Sergeant Pepper's Lonely Heart Club Band" war, visuell wie akustisch, ein perfektes Produkt des "Swinging London", das 1967 als "die hippste Stadt der Welt" galt, und es war gleichzeitig der perfekte Soundtrack für den "Summer of love", der im selben Jahr von San Francisco aus die ganze Welt erwärmte.
Peter Kemper, Sgt. Pepper. 100 Seiten, Reclam Verlag, 10 Euro.

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