Eine Träne im lachenden Auge

Trier · Mit seinem Stück "The Tramp" hat Sven Grützmacher im Theater Trier nicht nur Charlie Chaplin zum Leben erweckt. Noch einmal machte er eindrucksvoll deutlich, was seine Idee vom Tanztheater ist. Mit dieser Inszenierung endet nun die Ära Grützmacher in Trier.

 Zart und anrührend, ohne grellen Witz, zeigt sich Tänzerin Juliane Hlawati als Charlie Chaplin, in "The Tramp“, der Abschiedsinszenierung von Tanzspartenchef Sven Grützmacher am Theater Trier. Foto: Marco Piecuch

Zart und anrührend, ohne grellen Witz, zeigt sich Tänzerin Juliane Hlawati als Charlie Chaplin, in "The Tramp“, der Abschiedsinszenierung von Tanzspartenchef Sven Grützmacher am Theater Trier. Foto: Marco Piecuch

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Trier. Der Abschied gerät zur eindrucksvollen Demonstration. Über zehn Minuten applaudiert das Publikum stehend im vollen Saal des Trierer Theaters, als sich der Vorhang gesenkt hat. Was da donnert, ist nicht nur Premierenbeifall für Sven Grützmacher und seine Truppe, deren Tanztheaterstück "The Tramp" eben zu Ende gegangen ist. Was die 1200 klatschenden Hände wortlos skandieren, ist herzlicher Dank und verdiente Wertschätzung für den Mann, der zehn Jahre lang konsequent, einfallsreich und engagiert das Trierer Tanztheater geleitet und sich vielfältig ins Theaterleben eingebracht hat.
Aus einem etwas unzeitgemäßen Ballett-Ensemble hat Grützmacher eine moderne Tanztheatertruppe gemacht. Worin seine Tanztheater-Idee besteht und welches seine Stärken sind, ist noch einmal eindrücklich in seiner letzten Inszenierung in Trier zu erleben.
Mit Witz und Wehmut


Mit "The Tramp", dem Tanztheaterstück zu Charlie Chaplins Biographie, setzt Grützmacher die vielbeachtete Reihe seiner Künstlerbiographien fort. Einmal mehr zeigte sich: Grützmacher ist ein leidenschaftlicher Erzähler, ein Poet mit Witz wie Wehmut. Die Geschichten des Choreografen sind voller Anteilnahme am Menschen und seinen seltsamen Gratwanderungen zwischen Tragik und Komik. Die Persönlichkeit des bedeutendsten Komikers der Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts bietet sich da geradezu an.
Grützmachers Tanzstück konzentriert sich auf die zentralen Ereignisse im Leben Chaplins und seine wichtigsten Produktionen. Darunter die Kindheit mit der Tingeltangel-Mutter und dem alkoholkranken Vater. Und die Geburt des "Tramps" im gleichnamigen Stummfilm mit Bürstenbärtchen, Melone, Stock und Schlabberhose, bis heute Markenzeichen des Komikers.
Seine skandalumwitterten Beziehungen zu Frauen werden ebenso thematisiert wie jene Filme, die ihn zur Ikone gemacht haben: "City Lights" (Lichter der Großstadt), "The Kid" und natürlich "Der große Diktator". Daraus hat der Choreograph eine abwechslungsreiche Revue gemacht, die auch musikalisch die Zeit der 30er bis 40er Jahre aufleben lässt und in der zweiten Hälfte an Fahrt gewinnt.
Auf der minimalistischen Bühne von Gerd Hoffmann und Arlette Schwanenberg, deren Licht blauen Traum und gleißende Wirklichkeit schafft, erzählen die Tänzer (etliche in mehreren Rollen) mittels Bewegung, Geste und Mimik ihre Geschichte (Kostüme Alexandra Bentele). Dabei bleibt die Grenze zwischen Schauspiel und Tanz fließend.
Auf Slapstick und grellen Witz hat Grützmacher zum Glück verzichtet. Juliane Hlawati ist ein zarter, feingliedriger Tramp, ein Gentleman-Vagabund und Liebhaber, den man für seine Komik lieben, vielleicht belächeln, aber nicht auslachen mag. Schön: die Pas de Deux. Zu den anrührendsten Szenen, in denen sich gekonnt die Tragödie als Komödie verkleidet, gehört die Boxkampfszene (Boxer: Andres de Blust Mom-maerts und Denis Burda, Ringrichter: Alister Noblet).
Ein echtes Revuetalent im Stil der 30er ist Robert Seipelt. Hilflose Geliebte und Traumtänzerin bleibt Susanne Wessel. Der Tramp zieht weiter im Räderwerk seines Lebens und der Zeit. Zur Musik von Philipp Glass stampfen an der Bühnenwand die Räder der Lokomotive, während vorne die Körper der Tänzer in ihrem Rhythmus rotieren. In seiner Brutalität und Endgültigkeit eines der packendsten Bilder der Inszenierung. Unverändert ergreifend: Chaplins Antikriegsrede aus dem "Großen Diktator" ("Adolf": Ayumi Noblet).
Voller Erzählfreude, Poesie und - wie es sich für die Komödie gehört, die um die Tragödie in ihr weiß -, mit einer Träne im zwinkernden Auge, geht Grützmachers Zeit in Trier zu Ende. "We \'ll meet again", klingt es zum Schluss aus dem Off. Und bis dahin: "Keep smiling through".

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