Eine zum Preis von zweien: "Happy Hour" im Theater Trier

Trier · Lisa will weg, Petra will bleiben, am Ende ist es genau andersrum. Das neue Stück im Theater Trier „Happy Hour“ erzählt von der Unentrinnbarkeit der Provinz.

 André Meyer alias Burkhard hält Ronja Oppelt alias Lisa.

André Meyer alias Burkhard hält Ronja Oppelt alias Lisa.

Foto: Arteo Photography
 Juliane Lang spielt Petra, Lisas beste Freundin.

Juliane Lang spielt Petra, Lisas beste Freundin.

Foto: Arteo Photography

Das Leben ist eine Bühne, und diese Bühne steht in einer Kneipe. Der Tresen, ein beleuchteter Catwalk, darauf Aschenbecher und um diese herum kiloweise Zigarettenasche. Und darauf liegt Lisa. Ziemlich beschwipst, aber es ist ja auch ihr letzter Abend. Ihre letzte Nacht in der Enge der Provinz, in der Leere der Dorfkneipe im Wald, ihre letzten Stunden mit Dorffreundin Petra. Mit von der Partie, gezwungenermaßen und doch ziemlich ungewollt, Petras Macker, der Kneipenbesitzer vom "Beim Klaus", der eigentlich Burkhard heißt und das ewig tote Etablissement ohne Musik dem ebenso toten Vor-Klaus einfach abgeschwätzt hat.

Lisa (Ronja Oppelt) will raus, es soll endlich mal was passieren, das Leben in der Idylle ist ihr zu klein. Aber ein letztes Mal zusammensein mit der besten, ältesten, schönsten, bewundertsten Freundin Petra, das muss jetzt einfach noch mal. Dabei ist Petra (Juliane Lang) genau das, was man sich unter einer Sandkastenfreundin aus der Provinz vorstellt: ein bisschen assi, ein bisschen hohl, ein bisschen schlampig, und in naher Zukunft, so ahnt man bereits, wird sie in Lisas Dasein zu einem Lebens-Relikt werden, das man im Heimatdorf eingemottet hat. Dabei trägt auch Lisa eine stille Sehnsucht in sich: das Große endlich im Kleinen zu finden, aus der vergessenen Waldkneipe eine Dorfdisco zu machen, mit großem Parkplatz und angestrahltem Schild. Oder wenigstens einem neuen Namen. Burkhard (André Meyer), besser bekannt als der Pseudo-Klaus, verschanzt sich derweil hinter dem Provinz-Tresen wie hinter einem Wehrwall, den er sich gegen die feindliche Außenwelt aufgeschüttet hat. Er, der selbst mal mit großem Maul jeden Abend davon schwadroniert hat, dass er mal "weg wolle", schließt jeden Abend die Kneipe wie den Eingang zu einem vergessenen Zauberreich auf und beharrt, auch in dieser Montagnacht, stoisch auf den Schichtdiensten bis 5 Uhr morgens. Man wisse ja nie, ob nicht doch noch mal einer vorbeikommt.

Regisseurin Alice Buddeberg inszeniert das Stück des Trierer Autor Lothar Kittstein, der "Happy Hour" eigens für das Theater Trier geschrieben hat. Es "ersetzt" damit das abgesagte Stück "Die Rote Wand", das sich mit dem Medienrummel um den Tod einer jungen Frau, in Anlehnung an das Verschwinden der Trierer Studentin Tanja Gräff, beschäftigen wollte. Auch in Happy Hour blitzt etwas auf, das an diesen Vorfall erinnern könnte: "Und auf einmal ist ein Mädchen tot" und alle Dorfbewohner "mit ihren kleinen Frauen in ihren kleinen Häusern in den kleinen Dörfern" sind geschockt und können es nicht fassen. Danach ist das Thema beendet, und es geht schnurstracks weiter in der rasanten wie feinfühligen und detailverliebten Inszenierung. Die, nicht nur nebenbei bemerkt, von ihren außergewöhnlichen Schauspielern lebt, die drei beängstigend perfekte Charakterstudien in Fleisch und Blut eingeprobt haben: Allen voran Juliane Lang, die im kleinen Raum des Studios ihre ganze Wirkung entfalten kann. Ihre Petra wandelt sich von der Dorfpomeranze zum eigentlichen Sehnsuchtsträger des Stückes. So verwundert es auch nicht, dass es schließlich sie ist, die geht. Und die erst vor Leben sprühende, doch letztendlich im Sog der Einsamkeit des nächtlichen Landlebens steckenbleibende Lisa in einem "Beim Klaus"-Teamshirt in der Spelunke bleibt (für die geniale, typengenaue Ausstattung ist Martina Küster verantwortlich). Ein wandlungsfähiger André Meyer wird als potenziell genauso gewalttätiger wie zärtlicher Burkhard im Laufe der Zeit zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, der zwischen den Freundinnen Zwietracht und Freundschaft, Liebe und Feindschaft sät, wie es ihm am besten passt. Und ganz am Schluß erklingt sogar doch ein Lied in der totgeglaubten Kneipe (Musik von Stefan Paul Goetsch).

Buddeberg verlegt "Happy Hour" von Lothar Kittstein in ein grausiges Zauberreich, in dem die drei Sehnsüchtig-Wegwollenden gefangen bleiben zwischen ihren Träumen und Gewohnheiten. Es ist eben die Sehn-Sucht, die dieses Stück bestimmt. Eindringlich, erschreckend-real und großartig ist das Spiel der drei Akteure, das Lebensgeschichten offenlegt, wie man sie, gerade in ländlicher geprägten Gebieten zur Genüge kennt. Ein Lehrstück darüber, dass man die Provinz letzten Endes selten ganz hinter sich lassen kann.

Nächste Vorstellungen: Freitag, 19. Mai, Mittwoch, 24. Mai und Sonntag, 28. Mai.

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