Einfach nur Musik

BONN. Manche Legenden leben schon lange nur noch von ihrem Ruf. Andere begründen ihn mit jedem Konzert neu. So wie Van Morrison, der dieser Tage auf dem Bonner Museumsplatz gastierte.

Fast hätte man schon aufgegeben. Wolkenbruchartige Regenfälle über der ehemaligen Bundeshauptstadt, gemäßigte Oktober-Temperaturen, dazu ein Schweizer Vorprogramm-Sänger namens "Baum", dessen melancholische Liedermacherklänge in Kombination mit den obwaltenden Wetterverhältnissen depressiv veranlagte Konzertbesucher glatt dazu hätten veranlassen können, sich zwecks Erhängen einen ebensolchen zu suchen. Aber dann. Da taucht ein famoses Musikanten-Sextett auf und intoniert den Klassiker "This weight", dass es die vom langen Weg unters schützende Zeltdach durchgeweichten Hemden und T-Shirts förmlich trocken pustet. Links vom Bühnenrand her geht ein kleiner Mann mit Panamahut, Sonnenbrille und schlecht sitzendem Anzug in die Mitte - und ab diesem Moment geht's nur noch ab. Mal mit Saxophon, mal mit Gitarre, meistens aber mit einer Soul-Stimme, die kurz vor dem 60. Geburtstag und 39 Jahre nach "It's all over now" so kraftvoll, saftig und unverbraucht klingt wie eh und je, treibt Morrison die Sache voran. Titel an Titel, einfach nur Musik, keine Zeit für Geschwätz mit dem Publikum, fast ungeduldig - in den jeweiligen Beifall hinein hebt die Truppe schon zum nächsten Stück ab. In dieser Band ist jede Besetzung luxuriös, aber obendrauf gönnt sich Morrison, der Spröde, als Augen- und Ohrenweide die Kultsaxophonistin Candy Dulfer. Und die lässt es krachen, aber nicht allein. Das Publikum kommt mit dem Feiern der Protagonisten bei den vielen Soli kaum nach. Wer Hits hören will, ist bei Van Morrison fehl am Platz. Nicht, weil er keine hätte. Auch nicht, weil er sie nicht spielen würde. Aber die Versionen sind so abenteuerlich-genial, dass auch eingefleischte Fans oft zweimal hinhören müssen. "Have I told you lately", im Original eine Art Kuschelrock für Intellektuelle, wird geradezu sinatramäßig verswingt. Das ist, als trüge Joe Cocker eine Rap-Version von "With a little help from my friends" vor - nur dass Cockers Publikum ihn bei lebendigem Leib zerreißen würde. Morrison darf das nicht nur, er wird dafür geliebt. Aber es wäre ihm, der musikalisch immer gemacht hat, was er wollte, wahrscheinlich auch egal, wenn es anders wäre. Griff in die Hit-Kiste am Konzertende

Wer bei diesem Konzert sein Bier nicht vor Beginn geholt hat, bleibt durstig bis zum Ende. Oder er ist ein Ignorant. Zum Rausgehen lässt Van Morrison nämlich keine Zeit. Egal, ob Swing, Blues, Soul. Oder eine wunderbare Ballade wie "Celtic new year" von seiner neuen CD "Magic Time". Wo nimmt der Mann auf dem 41. (!) Album solche Kreativität her? Am Ende dann doch noch der Griff in die Hit-Kiste. "Brown eyed girl" und, zum grandiosen Finale, "G-l-o-r-i-a" aus frühen "Them"-Tagen. Nach 85 Minuten verschwindet der kleine Mann mit dem Panamahut, der Sonnenbrille und dem schlecht sitzenden Anzug wieder hinter der Bühne. Seine entfesselte Band kocht noch fünf Minuten lang die Emotionen auf höchster Hitzestufe, dann ist Feierabend. Kein Abschied, keine Zugabe, no Thank you. Es hätte auch keine Steigerung mehr gegeben. Auf dem Weg Richtung Parkplatz fängt es wieder an zu gießen. Aber niemand hastet zu seinem Auto. Wäre irgendwie unwürdig nach diesem Konzert.

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