Endlich - Vorhang auf!

LUXEMBURG. "Tout Luxembourg" war dabei, als erstmals der Vorhang im frisch renovierten und technisch auf den neuesten Stand gebrachten "Grand Théâtre de la Ville" in Luxemburg hochging.

Geschafft! Der Stoßseufzer der Erleichterung kam den Verantwortlichen von Herzen, und sie verliehen ihm polyglott Ausdruck: Paul Helminger, Luxemburgs Bürgermeister, begrüßte die Gäste auf Französisch und verhieß ihnen grandiose Theatererlebnisse. Frank Feitler, der Hausherr, schloss sich mit launischen Bemerkungen auf Letzeburgisch und Deutsch an: "Schön, dass du endlich gehst", verabschiedete er den für den Umbau verantwortlichen Architekten Hans Dohmen von der Berliner Planungsgesellschaft Gerling & Arendt. Und Colette Flesch, Luxemburgs Kulturdezernentin, bedankte sich mit einer flammenden Ansprache auf Englisch, in der sie noch einmal bekräftigte, wie sehr sich Stadt und Land dieses Theater gewünscht und dafür weder Kosten (rund 65 Millionen Euro) noch Mühe gescheut hätten. Reden ohne Blumentöpfe und Girlanden

Womit auch gleich die vier Sprachen angeklungen wären, die wohl am häufigsten auf der Bühne des Theaters zu hören sein werden - neben dem Italienisch hochkarätiger Operninszenierungen, von denen in der kommenden Spielzeit einige auf dem Programm stehen. Drei schlichte Ansprachen, kurz und knapp, ohne Blumentöpfe und Girlanden: Bemerkens-, fast schon beneidenswert, mit welcher Nonchalance und Gelassenheit die Nachbarn ein kulturelles "Event" feiern, das andernorts wohl mit Reden unter ein bis zwei Stunden nicht über die Bühne zu bringen gewesen wäre. Die gehörte dann sehr schnell denjenigen, die in diesem Haus künftig die Hauptrolle spielen: den Künstlern. Auch hier gab es keine großen Namen, wohl aber beachtliche Leistungen zu bewundern: "Europa Danse" heißt, sprachlich recht ambivalent, das Unternehmen mit 21 Tänzerinnen und Tänzern zwischen 16 und 21 Jahren aus sieben europäischen Nationen. Vor vier Jahren hat Jean-Albert Cartier diese Schule gegründet, deren Teilnehmer sich in einer Art Sommerakademie in der französischen Parfümstadt Grasse auf ihre Auftritte vorbereiten. Als Lehrer für die Kurse konnten bislang viele namhafte Choreografen gewonnen werden, darunter Jiri Kylian, Mauro Bigonzetti und Hans van Manen. Ein beziehungsreicher Auftakt: Der Vorhang gibt eine schwach erhellte, kahle Bühne frei, die nach und nach von Menschen bevölkert wird. Vorsichtig treten sie auf, scheinen sich erst orientieren zu wollen auf diesem fremden, neuen Territorium, ehe sie an Sicherheit gewinnen, immer vertrauter werden mit der Umgebung, die sie sich Schritt für Schritt erobern. Vier getanzte Kurzgeschichten stehen am Anfang dieser neuen Theaterära; Geschichten, die den ganzen Kosmos dessen umfassen, was sich gemeinhin auf Bühnen zuträgt: Liebe, Tod, Gewalt, Tragik, Komik und Groteske; erzählt in Körperbildern von fantastischer Schönheit ("Stool Game" von Jiri Kilian) und exakter Geometrie ("Turnpike"). Dem klassischen Ballett am näch-sten kam Nacho Duatos Inszenierung von "Na Floresta" (Im Wald) mit der betörend sinnlichen Musik von Brasiliens bedeutendstem Komponisten Heitor Villa-Lobos; von verzerrter Wortmusik begleitet wurde der skurrilste (und mit dem meisten Applaus bedachte) Beitrag "Oratorio Mongol": Drei in blaue Overalls gekleidete Gestalten bewegen sich zu klischeehaften, verzerrt wiedergegebenen Konversationsfetzen wie eine Synthese aus Charlie Chaplin, Jacques Tati und der Gestik und Mimik von Knetgummipuppen aus Trickfilmen. Am Ende der Vorstellung gab es für alle Mitwirkenden eine Rose - überreicht von denjenigen, die gemeinhin im Dunkeln bleiben: den Bühnentechnikern, die sich ein gutes Stück von dem begei-sterten Beifall abschneiden durften, hatten sie doch dafür gesorgt, dass die Feuerprobe reibungslos geklappt hat. "So etwas müssten wir auch haben"

Einhellig die Meinung der bis weit nach Mitternacht im großzügigen Foyer feiernden Gäste, unter denen auch zahlreiche Grenzgänger waren. "Ich finde es toll", so ein Besucher aus Trier, "dass ich jetzt nach Feierabend mal eben herkommen kann, um Top-Inszenierungen zu erleben, für die ich sonst immer weite Wege in Kauf nehmen musste." Auch Triers Oberbürgermeister machte kein Hehl aus seiner Bewunderung: "So was müssten wir auch haben", meinte Helmut Schröer mit einem kaum merklichen Anflug von Neid. Und wie beurteilen die Luxemburger Theatermacher die große reiche Schwester, die nach einem fünfjährigen Komplett-Lifting aus dem Dornröschenschlaf erwacht ist? "Wir werden hier gewiss sehr gute Inszenierungen erleben", meint Camille Kerger, der musikalische Leiter des Luxemburger Nationaltheaters, das im kommenden Jahr ebenfalls ein neues Domizil erhält. Eine "gefährliche" Konkurrenz vermag er in dem Haus nicht zu erkennen. Zum einen wird er selbst dort arbeiten, zum anderen setze das "Théâtre National" ganz andere Schwerpunkte in seiner Arbeit. Solche Überlegungen sind für Frank Feitler zumindest zu dieser späten Stunde nicht vordringlich. Ihn treibt derzeit Wichtigeres um. "Ich muss meine Frau suchen", eilt er vorüber. "Ich habe sie den ganzen Abend noch nicht gesehen." Die erste Schauspielpremiere findet am 2. Oktober statt ("Le costume", Studio); in der "Grande Salle" steht am 11. Oktober Francesco Cavallis ""La Calisto" in der Inszenierung von Herbert Wernicke auf dem Programm (Théâtre de la Monnaie, Brüssel). Karten unter Telefon 00352/4708951 oder E-Mail: billetterie@vdl.lu

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