Entdeckungen im Reich der philharmonischen Klänge

LUXEMBURG. Ein Tag voll Klänge. Zum Abschluss des Eröffnungsfestes präsentierte die Luxemburger Philharmonie vom Vormittag bis in den späten Abend Musik aller Stilrichtungen und zog dabei zahlreiche Hörer an – auch aus der Trierer Region.

Wie gut, dass die Generalpause mitten im Stück nicht länger dauerte. Schon wollten eifrige Hörer die Hände rühren, da musizierten Star-Pianist Cyprien Katsaris und sein Streicherensemble weiter und dämpften die vorzeitige Beifallsfreude in der Luxemburger Philharmonie. Hingerissen vor Begeisterung

Sparsam ging man an diesem Sonntagnachmittags-Konzert mit Zustimmung ohnehin nicht um. Nach jedem Satz von Schumanns Klavierquintett op. 44 klatschten die gut 1000 Hörer im Großen Saal des Konzerthauses fleißig. Ein begeisterungsfähiges Publikum - und eins, das mit den Usancen klassischer Konzerte unvertraut ist. Dort gilt, dass erst am Schluss einer Komposition applaudiert wird. Doch genau solche Hörer will Philharmonie-Intendant Matthias Naske anlocken. Dass sich das Publikum der weit über 100 philharmonischen Konzerte allein aus den traditionellen Besucherschichten rekrutieren könnte, glaubt ohnehin niemand. Das Eröffnungsfest war dafür ein erfolgreicher Test. Wobei es schwer fällt, ein Angebot auszulassen, das mit dem "London Philharmonic Orchestra", dem "Orchestre National de Jazz Luxembourg", den Preisträgern des Brüsseler "Reine Elisabeth"-Wettbewerbs, der portugiesischen Fado-Sängerin Misia und zum Abschluss mit dem New Yorker Paul D. Miller lockt. Auch etliche Konzertbesucher aus der Trierer Region hatten sich Plätze gesichert. Selbstverständlich spielt Interesse am neuen, immerhin 110 Millionen Euro teuren Gebäude mit. Bauwerk und Akustik stießen auf allgemeines Wohlwollen, wenngleich einige Kenner Verbesserungen anmahnten. "Ich saß in der Schalllinie der Posaune", sagte Camille Kerger nach dem Konzert des "London Philharmonic Orchestra", in dem sein Auftragswerk "Traumblende" uraufgeführt wurde. "Da habe ich von den Streichern nur wenig gehört." Nachbesserungen indes sind bei Konzertsaal-Neubauten normal. Kammermusik klingt transparent und substanziell

Am Schlusstag jedenfalls entfaltete der Saal seine Qualitäten eindrucksvoll. Nach einem Konzert des "Orchestre de Chambre du Luxembourg" am Vormittag demonstrierten Cyprien Katsaris und ein luxemburgisches Streichquartett mit Sandrine Cantoreggi an der ersten Geige bei Schumann, wie transparent und doch substanziell Kammermusik in diesem Raum klingt, und Katsaris entfaltete mit Cathy Krier in der Version des Quintetts für Klavier vierhändig zudem eine beeindruckende pianistische Brillanz. Zu Neuer Musik stellten sich am Abend wieder gut 1000 meist junge Zuhörer ein. Das "Klangforum Wien" und die "United Instruments of Lublin" lieferten unter der differenzierten und präzisen Leitung von Sylvain Cambreling eine Meisterleistung. An Klangglanz und Präzision suchen diese Ensembles ihresgleichen. "Im Garten der Klänge" - der Konzerttitel suggeriert Reichtum und Räumlichkeit. Zu Recht. In seinem "Giardino religioso" von 1972 fügt Bruno Maderna (1920-1973) kleinste Motiv- und Klang-Einheiten zu jenem südländisch strömenden Duktus, der den Italiener schon zu Lebzeiten von seinen komponierenden Kollegen abhob. Der Franzose Gérard Grisey verbindet in seinen "Partiels" Oberton-Spektren zu einer Folge von farbenreichen und wohltönenden Klang-Tableaus. Und die "Mysteries of the Macabre" von György Ligeti - welch ein sanft ironischer, gebrochener Witz! In seinem uraufgeführten Auftragswerk "Antiphonien für zwei Ensembles" nutzt der Luxemburger Alex Müllenbach die Klangmöglichkeiten doppelchörigen (antiphonalen) Musizierens wirkungsvoll und entwickelt dabei eine breite Ausdruckspalette zwischen lyrischer Versenkung und provokantem Krach. Formal gehörten die "Antiphonien" zu den geschlossensten Kompositionen des Abends. Auch Landsmann Claude Lenners orientiert sich in seinem "Vol de nuit" von 1995 bei aller Modernität der Tonsprache am klassischen Formmodell des Sonatensatzes. Was der Fassbarkeit seiner Komposition nützt. Und zu Beginn wie zum Schluss Charles Ives. Raum-Musiken, die akustische Nachtstimmungen beschwören oder den Effekt einer "tönenden Kleinstadt" beim Einzug mehrerer Musikkapellen. Ein Pionier, zweifellos. Die Besucherbilanz des Eröffnungsfestes fällt beeindruckend aus. 15 000 Besucher in elf Konzerten und den beiden "Eröffnungsfanfaren" mit insgesamt 750 Musikern, eine Platzausnutzung von fast 99 Prozent. Welches regionale Festival kann da schon mithalten? Luxemburg entwickelt sich mehr und mehr zu einem Zentrum europäischer Kultur.

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