"Es gibt auch ein anderes Amerika"

BERLIN. Berlin sonnt sich im Festivalrausch, Stars bringen Glanz - aber über allem liegt der Schatten eines drohenden Krieges. Früher winkten Schauspieler ab, wenn sie nach ihrer Meinung zu aktuellen politischen Ereignissen befragt wurden. In diesem Jahr ist das anders.

Kevin Spacey war der Erste. Er hoffe, dass sich der Konflikt doch noch auf diplomatischer Ebene lösen lassen, erklärte der Oscar-Preisträger und Hauptdarsteller in Alan Parkers Wettbewerbsfilm "Das Leben des David Gale". Auch Kollege John C. Reilly ("Chicago", "Gangs Of New York") nahm kein Blatt vor den Mund und sprach sich gegen einen Krieg aus. Das tat auch George Clooney: Er liebe sein Land, einen Krieg halte er aber für falsch. Er wolle ein Zeichen für den Frieden setzen. Und Dustin Hoffman sorgte mit seiner flammenden Rede bei der Unicef-Friedensgala "Cinema For Peace" für Furore. Ein Punkt taucht immer wieder auf bei den Reden und in Gesprächen: Es gebe in den Staaten viel mehr Widerstand gegen einen Krieg, als man in Europa oder sonstwo mitbekomme. Daran seien vor allem die marktbeherrschenden Medien schuld, die im Sinne der Bush-Administration "Politik" machten. Aber es gebe auch ein anderes Amerika. Schon immer ist der New Yorker Spike Lee ein politischer Filmemacher gewesen. In seinem besten Film "Do The Right Thing" (1989) ging es um die Rassenkämpfe in den USA. Danach steigerte er sich jedoch immer mehr in die Rolle eines Kino-Predigers ("Malcolm X"), lieferte mehr Propaganda ab als Kunst und langweilte das Publikum. Jetzt meldet sich Lee eindrucksvoll zurück. "25th Hour" (Die fünfundzwanzigste Stunde) ist zunächst die Geschichte des smarten Drogendealers Monty Brogan, gespielt vom wieder großartigen Edward Norton. Monty war in Manhattan eine ziemlich große Nummer, arbeitete erfolgreich mit russischen Großdealern zusammen, konnte seiner attraktiven Freundin Naturelle allerlei Luxus bieten. Doch eines schönes Tages klingelten Polizisten an der Tür und wussten genau, wo sie suchen mussten. In der Couch steckte der Stoff - das reicht für sieben Jahre Gefängnis. Und jetzt hat Monty noch einen Tag Zeit, bevor er in den Knast muss, aus dem er, das gilt als sicher, nicht mehr zurückkehren wird. In diesen letzten 24 Stunden verabschiedet sich Monty von seinem Vater und seinen besten Freunden. Es geschieht nicht viel an diesem Tag, doch man hat das Gefühl, es könnte jeden Moment etwas Schlimmes passieren. Roman und Drehbuch wurden zwar vor, der Film aber erst nach dem 11. September 2001 fertig gestellt. "25th Hour" ist also auch eine Bestandsaufnahme New Yorks, und man kann in Lees Film ein Klima der latenten Verunsicherung und der Angst spüren. Als könne in diesem brodelnden Schmelztiegel jederzeit etwas hochgehen, doch die Bedrohung hat keinen Namen, kein Gesicht. Einmal stehen Montys beste Freunde in seinem Apartment und blicken aus dem Fenster. "Jesus Christ!" entfährt es einem, als er in der Tiefe die Löcher der Twin Towers sieht - von kaltem blauen Licht umgeben. In einer anderen Szene schreit Monty sich den ganzen aufgestauten Frust und seine Verzweiflung über diese Stadt heraus, verflucht Schwarze und Weiße, Pakistani, Juden, Polizisten und Priester, seinen Vater und seine Freundin, Jesus, Bin Laden und sich selbst. Doch hinter seiner Angriffslust stecken Unsicherheit und Angst. Wie bei einem, dem die Welt über den Kopf gewachsen ist und der nur noch halbblind durch die Gegend taumelt. Was ist mit der Stadt passiert, wohin treibt das Land? Endet alles in blutiger Gewalt?

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort