Everybody's Darling

Kein deutscher Star bewegt die Volksseele so wie Harald Juhnke. Einer, der immer auf des Messers Schneide gelebt hat. Einer, der sich bei vergleichsweise klarem Bewusstsein um den Verstand gesoffen hat.

Einer, der eigentlich ein Mahnmal sein müsste, ein abschreckendes Beispiel für Kinder und andere Gefährdete. Aber eben auch einer, der Sympathien weckt in unterschiedlichsten Milieus, und Respekt. Was erklärt das Phänomen Juhnke? Vielleicht, dass er der einzige Künstler hierzulande ist, der sich dem Reinheitsgebot des deutschen Publikums konsequent entzogen hat. Kein leichtes Geschäft, pflegt man doch die hiesige Künstlerszene - auch mit Hilfe der Ordnungshüter in den Medien - sorgfältig in Schubladen einzuordnen. Wer im Maxim-Gorki- Theater als Hauptmann von Köpenick brilliert, darf nicht mit Eddi Arent im Fernsehen den Affen machen. Wer den Star-Entertainer in der großen Samstagabend-Show mimt, hat montags nichts bei der Kaffeefahrt zu suchen. Wer mit dem Kanzler frühstückt, kann nicht abends an der Hotelbar systematisch das Delirium erzwingen. Juhnke hat das nie gekümmert. Er zelebrierte seine Triumphe und seine Abstürze gleichermaßen öffentlich. Auf jede ohnehin nie besonders ernst gemeinte Entschuldigung folgte prompt der nächste Sündenfall. Als moralische Instanz war er ein glatter Ausfall - und machte sich wenig draus. So wenig, wie er sich dar-auf festlegen wollte, ob er nun Sänger oder Schauspieler war, Schlagerträllerer oder Jazzer, ein deutscher Sinatra oder ein Berliner Frankenfeld. Er hat stets gemacht, was ihm passte, sicher auch oft, was ihm Geld einbrachte. Nie aber das, was Konvention und vermeintliche Verhaltensregeln von ihm erwarteten. Dabei hat er gerade lange genug durchgehalten, um irgendwann die Beförderung vom Enfant terrible zu Everybody's Darling zu schaffen. Es dauert, bis das Publikum Konsequenz anerkennt - manchmal so lange, dass der Künstler den Ruhm nicht mehr miterlebt. Aber dann fällt die späte Umarmung um so besitzergreifender aus. Erst ganz zum Ende seiner Karriere, als sich Geniestreiche und Abstürze in immer rasenderer Folge ablösten, fand Juhnke auch als seriöser Schauspieler die angemessene Würdigung. Und späte-stens sein Abgang in die Dämmerung der Demenz machte ihn endgültig zum Helden bei Volk und Feuilleton. So ist, paradox genug, die Tragik seines Schicksals exakt die Vor-aussetzung für seinen unaufhaltsamen Aufstieg zum Liebling der Deutschen. Ein hoher Preis. Aber Juhnke hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er gewillt war, ihn zu bezahlen. Dieter Lintz

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