Kolumne Unterm Strich Fake News - ein ziemlich alter Hut

Fast 80 Jahre ist es her, dass Orson Welles die New Yorker Radiohörer aus ihrer beschaulichen Sonntagabendruhe riss. Am 30. Oktober 1938 unterbrach der seinerzeit noch nicht so bekannte Schauspieler eine "Konzertübertragung" mit der Sondermeldung, dass in der Nähe der Metropole Wesen von einem anderen Stern gelandet seien, die den "Weltlingen" den Krieg erklärt hatten.

Die Reaktion, die Welles damit auslöste, ging weit über das hinaus, womit er und seine Kollegen von der von ihm gegründeten Mercury Theatre Troupe gerechnet hatten: Zahlreiche New Yorker liefen in Panik auf die Straßen, flohen Hals über Kopf aus der Stadt und sorgten für ein veritables Verkehrschaos. (Nach der Übertragung des Hörspiels ging Welles übrigens in aller Seelenruhe ins Bett. Was er mit seinem "Krieg der Welten" angerichtet hatte, erfuhr er erst am nächsten Morgen.)
Ganz so hysterisch reagierten die Zuschauer in Los Angeles dann doch nicht, als eine Opernversion des Radiodramas vergangenen Sonntag Premiere hatte. Die Komponistin Annie Gosfield und ihr Regisseur Yuval Sharon zogen sämtliche Tricks aus der Zauberkiste bei ihrer Uraufführung in der Walt Disney Concert Hall. Natürlich wusste das Publikum, dass es einer gigantischen Fake-News-Show beiwohnte; so was gehört ja mittlerweile zum Alltag für amerikanische Zuschauer, vor allem, wenn es um "Nachrichten" aus dem Weißen Haus geht. Dennoch, so berichteten Kritiker, gab es einige gänsehauterzeugende Augenblicke während des Abends, den die Schauspielerin Sigourney Weaver moderierte - und ganz im Geiste Welles' zwischendurch schauerliche Nachrichten von außerhalb des Gebäudes verkündete, wo ja ganz offensichtlich die Hölle ausgebrochen war. Instrumentalisten und Solisten waren übrigens an drei Orten in der Stadt verteilt, von wo aus sie live über die Ereignisse berichteten (das Open-air-Publikum brauchte für diese Vorstellungen übrigens keinen Eintritt zu zahlen), was via Monitore und Lautsprecher in die Konzerthalle übertragen wurde.
Und das alles war so realistisch gefakt, dass es die Zuhörer nicht nur amüsierte, sondern stellenweise sogar ein bisschen gruselte. Zumal ihnen am Ende der Vorstellung verkündet wurde, dass sie zu den wenigen gehörten, die die tödliche Hitzestrahlung der Marsmenschen unbeschadet überstanden hätten - dank der Titan-Verkleidung der Disney Hall. Der letzte Dank des Rezensenten galt denn auch dem Architekten Frank Gehry, der sie in weiser Voraussicht schon 2003 vor solchen Überfällen mit der schützenden Hülle versehen hatte.
Der Erfinder der Fake News hat übrigens einen neuen, sehr verständnisvollen Fan: Die für ihre Darstellung der britischen Queen mit einem Oscar ausgezeichnete Schauspielerin Helen Mirren verriet dem Hollywood Reporter, dass sie gerne Donald Trump auf der Leinwand verkörpern würde. Die Frisur habe sie ja bereits. Und vom Alter her stimmt's auch: Mirren ist 72 und gerade 13 Monate älter als der "Präsident". An dem Mann reize sie das "Shakespearehafte" und der riesige Fall, den dessen Charaktere oft durchleben müssten (hoffnungsvolle Zukunftsmusik, Miss Mirren?). Die Schauspielerin würde ihn auch nicht als reine Witzfigur porträtieren, wie es Alex Baldwin, Johnny Depp und Meryl Streep getan haben. "Schaut euch doch an, unter welchen Bedingungen er aufgewachsen ist", fordert Mirren. "Wie war sein Vater, wie seine Mutter? Wenn ich ihn spielen könnte, würde ich bei dem Kind anfangen, und von diesem Kind steckt noch so viel in dem Mann." Zumindest mit dieser letzten Bemerkung dürfte die britische Präsidentenversteherin zweifellos auf sehr viel Zustimmung stoßen.
Rainer Nolden

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