Fantastisches Feuerwerk der Fantasie

TRIER. Historische Stunde im Trierer Theater: Am Samstag fand, zeitgleich mit Weimar, die Uraufführung der Opernversion von Michael Endes "Unendlicher Geschichte" statt.

Wenn zeitgenössische Opern auf ein Publikum treffen, das bereits die Tonsprache eines Klassikers wie Richard Strauss als "modern" empfindet (und diesen Begriff nicht unbedingt schmeichelhaft meint), dann ist das stets eine schwierige Begegnung. Bei der "Unendlichen Geschichte" in Trier haben Komponist und Produktionsteam alles getan, um die Hemmschwelle für den Durchschnittszuschauer so niedrig wie möglich zu halten. Dennoch fordert die Musik nicht nur den ganzen Einsatz der Künstler, sondern auch den der Besucher. Siegfried Matthus liefert eine effektvolle, spannungsgeladene, illustrative Musik. Liebevoll modelliert er seine Figuren aus, ordnet ihnen Musikfarben zu, die den Charakter trefflich beschreiben. Die Musik swingt, ätzt, schüttelt, packt, je nachdem, was oder wen sie gerade beschreibt. Matthus hat keine Angst vor großen Gefühlen, vor Lautmalerei, vor musikalischen Stürmen und Gewittern. Die Klänge leuchten aus, was man mit Mitteln des Theaters nicht erzählen kann. Musik zum Mitpfeifen ist das freilich nicht, was manchen im großen Saal des Trierer Theaters irritiert. Dabei entzieht sich der Komponist den großen Ideologien der Opern-Moderne, seine Musik ist weder atonal noch seriell. Matthus arbeitet geschickt mit starken Kontrasten zwischen Dissonanz und Wohlklang, wobei letzterer den "reinen" Figuren vorbehalten ist, die aus dem "Off" in die Handlung eingreifen. Je disharmonischer die Charaktere, je "schräger" ist auch ihre musikalische Beschreibung. Alles in allem eine vertrackte Aufgabe für die Musiker im Graben und auf der Bühne.Vertrackte Aufgabe für die Musiker

Dirigent Andreas Henning führt eindrucksvoll vor, warum sein Weggang ein Verlust für Trier ist: Ein musikalischer Leiter, der ein äußerst konzentriertes Orchester, hoch motivierte Chöre und szenisch stark geforderte Solisten zu einer kraftvollen Einheit formt, würdig einer Uraufführung. 19 Namen verzeichnet die Solisten-Liste, zu viele, als dass man sie einzeln aufzählen könnte. Aber alle werfen sich in die Bresche für das Stück, kämpfen und spielen sich durch teilweise sehr schwierige Partien. Herausragend (und wirklich nicht zu beneiden um ihre Partitur) Eva-Maria Günschmann als Atreju, betörend die ätherischen Töne von Evelyn Czesla als unsichtbare Stimme des Medaillons "Auryn". Ein Glücksfall an Präsenz: Die Schauspielerin Antje Mönning als rebellischer Bastian Balthasar Bux. Librettist Anton Perrey hat diese Figur des Jungen, der in das magische Buch der "Unendlichen Geschichte" buchstäblich hinein gezogen wird, anders angelegt als im Original. Sein Bastian ist kein weltfremder Träumer, er sitzt als schwer erziehbares Kind im Arrest, wo er Spinnen die Beine ausreißt - und dem magischen Buch, das er geklaut hat, die Seiten. "Mich kriegt keiner klein" ist ein Lieblingssatz. Das Stück wird durch diese Änderung nicht nur vordergründig aktueller, es ändert auch seine Richtung. Es geht nicht mehr primär um das Bekenntnis zur Fantasie, es geht um die Bereitschaft, sich einzumischen.Manko: Wort-Unverständlichkeit

Bastian muss raus aus seiner "Ohne-mich"-Haltung und rein in die Handlung des Buches, um Schlimmeres zu verhindern. Michael Ende, vom Politgetümmel der Nach-68-er angeödet, schrieb 1979 einen Roman über die heilsame Flucht in die Fantasie. Matthus/Perrey verwandeln die Botschaft 2004 in eine zeitgemäße Aufforderung, sich gesellschaftlich zu engagieren.Man würde sich gerne intensiver mit den philosophischen und politischen Ideen der Oper beschäftigen, aber dafür müsste man die Texte verstehen. In der weitgehenden Wort-Unverständlichkeit liegt ein deutliches Manko der Produktion, zumal auch die Regie von Heinz Lukas-Kindermann mehr auf das Spektakel setzt als auf filigrane Tiefenwirkung. Aber vielleicht ist das die beste Art, Stück und Publikum zusammen zu bringen. Der Beifall am Ende ist lang und herzlich. Wahrscheinlich wäre er zu Ovationen angewachsen, hätten die Zuschauer Gelegenheit gehabt, die abwesenden Helden des Abends zu feiern. Ausstatter Daniel Dvorak und Petra Habova bescheren den Trierern ein nie gekanntes Feuerwerk der Fantasie.Jede Figur ein Meisterwerk

Fabelgestalten, Gnome, Monster: Jede Figur ein kleines Meisterwerk, wert, dass man in der ersten Reihe sitzt, um jedes Detail betrachten zu können. Die Maskenbildner schaffen Unglaubliches, man würde die Mitarbeiter der Kostümwerkstätten und der Maskenbildnerei am Ende gerne mit auf der Bühne sehen. Klar: Man hätte Zeit, Geld und Energie auch für die Aufpeppung populärer Massenware Marke Mozart und Musical verwenden können, statt für eine Uraufführungs-Serie. Aber genau dafür ist Theater eben auch da: Wagnisse einzugehen, das Unmögliche möglich zu machen. Wer das miterleben will, sollte sich eine der Vorstellungen ansehen, durchaus auch mit Kindern. Zum Beispiel die Gala heute abend, 20 Uhr, im Trierer Theater, bei der Komponist Matthus seinen 70. Geburtstag feiert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort