Farbenpracht und viele schräge Töne

WITTLICH. Sie singen, spazieren herum und traktieren heftig ihre Instrumente. Und trotzdem erweist sich das Sun Ra Arkestra als hoch professionelle Bigband. Veranstaltet wurde das Konzert vom Jazzclub Wittlich.

Feinsinniger Kammer-Jazz ist das ganz bestimmt nicht. Die 14 Musiker des Sun Ra Arkestra tanzen mit farbenprächtigen afrikanischen Kostümen in den voll besetzten Saal des Wittlicher Hotels Lindenhof und singen aus vollem Hals. Und weil sich der legendäre Sun Ra in esoterischen Dingen gut auskannte und 1993 mit 79 Jahren den Weg zum Jupiter antrat, dreht sich der Gesang ums Kosmische. Philosophisch-distanziert ist das natürlich nicht. Marshall Allen und seine Mannen musizieren mit heißem Herzen und ohne Rücksicht auf Konventionen. Vieles ist für Europäer fremdartig: die schweren, afrikanischen Rhythmen, die planvollen Disharmonien, die Verbindung aus gezielter Monotonie und wild ausbrechender Spontaneität. Und selbstverständlich fügt sich das Sun Ra Arkestra keinem geschönten Klangideal. Die Stile des traditionellen Bigband-Jazz bleiben erkennbar. Aber die Sun-Ra-Musiker machen daraus etwas beeindruckend, manchmal irritierend Neues. Das ist so, wie Jazz einmal gedacht war: spontan, persönlich und ein wenig neben der Spur organisierter Kultur. Nach der Pause löst sich die Formation in einzelne Improvisationen auf. Und spätestens da merkt jeder: Die können wirklich was! Die beherrschen ihre Instrumente, treiben sie zu ungeahnter Virtuosität, lassen Trompeten und Saxophone rauchig singen, beherrschen eine Kollektivimprovisation, die sich nicht an Schemata hält und doch stimmt. Schräg zu musizieren ist eben etwas anderes als Dilettantismus. Das ist so wunderbar anarchisch, so herrlich unzivilisiert, dass im Publikum alle Reserven schmelzen und die Begeisterung überschäumt. Andere Formationen bewundert man wegen ihrer Sicherheit und Anpassungsfähigkeit. Das Sun Ra Arkestra muss man einfach mögen!

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