Fassungslose Gläubigkeit

ECHTERNACH. Einen einsamen Höhepunkt bildete die Aufführung der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach bei den Echternacher Festspielen. Ausführende waren die Gächinger Kantorei und das Bach-Collegium Stuttgart unter der Leitung von Helmuth Rilling.

Seit einem halben Jahrhundert gibt es die Gächinger Kantorei, jenes Vokalensemble, das wie kaum ein anderes auf deutschem Boden mit dem Namen Johann Sebastian Bachs verbunden ist. Ebenso untrennbar verbunden mit diesem Chor ist der Name seines Gründers und Leiters Helmuth Rilling. Von dem kleinen Ort auf der schwäbischen Alb aus hat Rilling mit seinen Sängerinnen und Sängern vor 50 Jahren einen unvergleichlichen Siegeszug durch die ganze Welt angetreten, ab 1965 unterstützt durch das ebenfalls von Rilling gegründete Bach-Collegium Stuttgart. Gefeiert werden die fünf Jahrzehnte im Dienst der Bachschen Chormusik mit dem vielleicht größten Opus, das der Leipziger Thomaskantor hinterlassen hat, der Messe in h-Moll, BWV 232.Hier hat sich das Beste vom Besten versammelt

Station machten die Musiker auch in der Basilika in Echternach und bescherten dem dortigen Festival einen einsamen Höhepunkt. Rillings Interpretationen zeichneten sich immer durch zwei Aspekte besonders aus. Zum einen verfügte er in all den Jahren über einen geradezu luxuriös ausgestatteten Fundus an Musikern. Ob Chor oder Orchester, dem Zuhörer vermittelte sich immer das Gefühl, hier hat sich das Beste vom Besten versammelt, hat sich willig unter die Leitung Rillings und in den Dienst an der Bach-schen Musik gestellt. Dies war auch in der bis auf den letzten Platz ausverkauften Basilika in Echternach nicht anders. Einen Chor konnte man erleben, für den das Wort Disziplin keine Pflicht, sondern eine Tugend ist, der all die Prädikate, in denen sich andere Chorgemeinschaften nicht selten vergeblich üben, schlicht präsent hat und seinen Part souverän meistert. Nicht minder ausgezeichnet ist Rillings Orchester. Brillantes Blech, unterfüttert von in jeder Situation selbstsicher erklingenden Streichern. Bei aller Qualität, die in allen solistischen Instrumentalpartien auftrat - in den Oboen lag schon eine überirdische Schönheit. Die überzeugendste Partie der Gesangssolisten präsentierte die Altistin Anne-Carolyn Schlüter mit nahezu betörender Geschmeidigkeit in ihrer Stimme und überzeugender Glaubwürdigkeit in ihrer Interpretation, dicht gefolgt von Sibylla Rubens (Sopran). James Taylor (Tenor) dagegen zeichnete sich durch einen schneidenden Ton aus, der nicht recht in das Gesamtbild passen wollte, und Bariton Christian Gerhaher standen offensichtlich Ausspracheprobleme im Wege.Die Quintessenz von Jahren intensiver Arbeit

Der zweite prägnante Punkt in Rillings Bachinterpretation war und ist immer noch die Tatsache, dass er seine ganz und gar ihm eigene Sichtweise hat, die nicht von außen, sondern von seinen eigenen musikalischen und theologischen Erkenntnissen geformt wird. Was in Echternach erklang, war die Quintessenz aus Jahrzehnten intensiver Bacharbeit, abseits von allen Streitigkeiten um authentische Aufführungspraxis. Der Protestant Rilling stellt die Verkündigung in den Mittelpunkt, führt sie aber gleichzeitig in einen Dialog mit den Menschen. Die Folge ist, um nur ein Beispiel zu nehmen, im Credo kein hämmerndes "Crucifixus etiam pro nobis", mit dem Jesus immer und immer wieder an sein Kreuz genagelt wird. Der gläubige Rilling steht fassungslos vor der Glaubensaussage, dass Christus für ihn, für uns gestorben ist. Das ist es, was einem Rillingschen Bach Größe und Glaubwürdigkeit verleiht. Bei ihm hat ein "Osanna" keine theatralische Pathetik und auch keine nüchterne Pflichterfüllung. Bei ihm jubelt der Engelchor seinen Lobpreis als etwas ganz Natürliches. Er kann gar nicht anders.

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