Festlichkeit aus zweiter Hand

TRIER. Durch markigen Bläsersound werden die Feiertage erst richtig schön. Schade nur, dass "Stuttgart Radio Brass" mit den musizierten Kompositionen und der Akustik in der Konstantin-Basilika ziemlich sorglos umging.

Es geht doch nichts über Blechbläsermusik! Die hebt die Feststimmung, wärmt das Gemüt und verbreitet ganz nebenher noch ein paar protestantische Posaunenchor-Assoziationen - zwischen Festgottesdienst und Kirchentag. Da kommt ein fünfköpfiges Blechblas-Ensemble wie "Stuttgart Radio Brass" gerade recht. Grund genug, zum Jahresschluss die Stuttgarter Bläser in die Konstantin-Basilika einzuladen.Bläser produzieren Virtuosität pur

Die ließen sich denn auch nicht lumpen und produzierten Virtuosität pur. Dass zwei Trompeten, Horn, Posaune und die dicke Basstuba die Badinerie aus Bachs Flöten-Suite h-Moll so spritzig musizieren können - wer hätte das gedacht? Und die Arie "Ich will nur dir zu Ehren leben" aus dem vierten Teil des "Weihnachtsoratoriums" - erstaunlich, dass zwei Trompeten mit den beiden virtuosen Violinstimmen so brillant zurecht kommen! Bourrée I und II aus Bachs Flöten-Suite, eine dreisätzige Schlacht-Suite von Samuel Scheidt, eine der berühmten Canzonen, die Giovanni Gabrieli für den Markusdom in Venedig schrieb und nochmals Bach: Die Stuttgarter brillierten auf dem weiten Gebiet der Bearbeitungen. Was diese Stücke mit dem Jahreswechsel zu tun haben, blieb allerdings ziemlich rätselhaft.Rätselhaft auch, warum das Stuttgarter Ensemble so einseitig auf Schnelligkeit setzte. In der Trierer Konstantin-Basilika sind die Koloraturen nur dann gut aufgehoben, wenn man sie mit Bedacht und in gezügeltem Tempo spielt. Davon konnte nicht die Rede sein. Im Riesenraum der Basilika verloren sich Klangkonturen in diffus-virtuosem Einheitsbrei. Wobei der Verdacht aufkommt, dass es mit Präzision schon an der (Schall-) Quelle nicht zum Besten stand. So spielten sie forsch und gekonnt, aber reichlich gedankenlos an den Kompositionen vorbei. Händels Einzug der Königin von Saba degenerierte zur Hetzjagd. Die Tänze aus Bachs h-Moll-Flötensuite stolperten plump daher oder machten sich eilig davon. Gabrielis Canzone verblasste zum Allerweltsstück. Die berühmte Air aus der Bachschen Orchestersuite Nr. 3, normalerweise unverwüstlich, begann respektabel, bis das schaurige Arrangement beide Trompeten in Oktaven koppelte und sich statt italienischer Lyrik blecherne Helligkeit einstellte. Allenfalls der Mittelsatz aus der Scheidt-Suite und das Präludium aus dem Bach-Werk-Verzeichnis 555 atmeten etwas von der Kraft und Würde, für die der Bläserchor eigentlich prädestiniert ist. Arrangements treiben Musik regelrecht aus Sollten die Musiker wirklich nicht gemerkt haben, dass mit ihren Exekutionen und Arrangements aus den meisten Stücken die Musik regelrecht ausgetrieben wurde? Nichts gegen Bearbeitungen. Aber ein Allerweltsprogramm in Allerweltsinterpretationen verfehlt Sinn und Anspruch eines Jahresschluss-Konzerts ziemlich vollständig. Dann wird Klang zur Fassade ohne Hintergrund, löst Stimmungen aus ohne Gehalt - akustisches Lametta, Festlichkeit aus zweiter Hand.Trotzdem starker Beifall. Und nun spielten die fünf Bläser Bachs wunderbare Orgel-Choralfantasie über "Nun komm der Heiden Heiland". Sie spielten sie mit Bedacht, Ruhe, Würde und Sorgfalt, wie aus einer Welt, in der Substanz zählt und nicht nur Brillanz. Späte Einsicht? Jedenfalls zeigte die Zugabe, was im Konzert möglich gewesen wäre.jöl/mar

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