Flexibilität heißt das Zauberwort

Dass ein Chordirektor neu an ein Haus kommt und gleich zum Auftakt die zuschauerträchtigste Produktion der ganzen Spielzeit dirigieren darf, ist eher selten. Jens Bingert hat das geschafft. Wenn alles gut läuft, werden ihn rund 10 000 Theaterbesucher in den nächsten Monaten bei "Kiss me Kate" näher kennenlernen.

 Probenflair: Chor und Solisten in Olga von Wahls unkonventioneller Kulisse – und der neue Chorchef Jens Bingert. Fotos: Theater/KD Theis

Probenflair: Chor und Solisten in Olga von Wahls unkonventioneller Kulisse – und der neue Chorchef Jens Bingert. Fotos: Theater/KD Theis

Trier. Seit Cole Porter 1948 auf die Idee kam, aus Shakespeares Komödie "Der Widerspenstigen Zähmung" ein augenzwinkerndes Broadway-Musical zu machen, hält sich das raffiniert gebastelte "Spiel im Spiel" konstant auf den Hitlisten der Theater in aller Welt. Auch in Trier ist das Stück alles andere als neu, und trotzdem gibt es am Sonntag bei der Premiere ein doppeltes Debüt: Zum ersten Mal inszeniert Regisseur Axel Stöcker in Trier, und zum ersten Mal gibt auch der neue Chordirektor und Kapellmeister Jens Bingert seine Visitenkarte als Dirigent ab. Eröffnungs-Dirigat als "Zugabe" im Vertrag

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Seit drei Wochen ist Bingert als Nachfolger von Norbert Schmitz Chef des Trierer Theaterchors. Der gebürtige Kuseler war zuletzt in Köln Studienleiter - mit gelegentlichen Dirigier-Aufgaben im dortigen Opernhaus. Als gelernter Kirchenmusiker steht ihm der Chorgesang ohnehin nahe. Dass er in Trier gleich zum Start am Dirigentenpult der Philharmoniker Platz nehmen darf, hat er sich als "Zugabe" bei seinem Vertrag als Chordirektor und Kapellmeister ausgehandelt.Der 36-Jährige vermittelt den Eindruck, dass er weiß, was er will. Klare Ansagen, wenig Schnörkel, solides Selbstbewusstsein. Vielleicht genau das, was der Trierer Theaterchor im Moment braucht. Der sei "gut in Schuss und hochmotiviert", hat Bingert schon nach wenigen Proben registriert. Es kann ihm aber auch kaum entgangen sein, dass sich die 19 Profi-Sänger samt dem großen Extra-Chor in den letzten Jahren bisweilen unterfordert und nicht angemessen im Theaterprogramm berücksichtigt gefühlt haben. Auf eine solche Idee dürften die Chor-Sänger bei "Kiss me Kate" wohl nicht kommen. Denn sie sind nicht nur akustisch, sondern auch als Tänzer gefordert. "Die müssen den Job des Balletts mit übernehmen", erzählt Regisseur Stöcker. Überhaupt sprengt das Musical die üblichen Genre-Grenzen. Die Hauptrollen übernehmen mit Sabine Brandauer und Michael Ophelders singende Schauspieler, im Gegenzug agieren Peter Koppelmann, Thomas Schobert, Eric Rieger und Laszlo Lukacs als schauspielernde Sänger. "Die Kluft ist gar nicht so riesengroß", stellen Bingert und Stöcker übereinstimmend fest. Überhaupt ziehen Dirigent und Regisseur am gleichen Strang - auch wenn es um den Zugriff auf das Stück geht. Nach sechzig Jahren soll das Musical-Fossil "behutsam entstaubt werden", verspricht Stöcker, der die Geschichte, die da erzählt wird, "einfach ernst nehmen will". Stimmten die Emotionen, "dann kommt die Komik fast von allein".Gleiches versucht Bingert bei der Musik, der nicht mehr das Cole-Porter-Original aus den 40er Jahren zugrunde liegt, sondern eine flotte Broadway-Bearbeitung aus dem Jahr 1999. Alles in allem also eine moderne Produktion? "Das nun nicht", wehrt der Dirigent fast erschrocken ab - schließlich kennt er die Präferenzen des Publikums von Traditionsmusicals. Auch Axel Stöcker kennt sich mit dem widerspenstigen Kätchen aus, immerhin hat er das Werk in Bamberg schon mal inszeniert, allerdings, wie er betont, "völlig anders". Ob damals schon wie in Trier ein Blumenstrauß eine gewichtige Rolle spielte, ist nicht bekannt. Was sich definitiv nicht geändert hat, sind Ohrwürmer wie "Wunderbar", "Viel zu heiß" oder "Schlag nach bei Shakespeare". Sie werden auch in Trier reichlich Publikum anlocken. Premiere am 30. September, nächste Vorstellungen: 2., 6., 17., 19., 28. Oktober. Karten: 0651/7181818.

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