Frauen rechnen mit Nero ab

Trier · Kein anderer Herrscher steht so für Sex und Crime wie Nero. Drei Frauen rechnen nun mit ihm, seiner Selbstherrlichkeit, seinem selbsternannten Künstlertum und seiner gewaltvollen Herrschaft ab: die Schauspielerinnen Gina Haller, Juliane Lang und Ronja Oppelt. Premiere des Stückes "Nero" war am Dienstag im Stadtmuseum Simeonstift.

Trier. "Es riecht nach Rauch, es riecht nach Verwesung. Ich habe ganze Arbeit geleistet." Ob sich Nero das auch gedacht hat, als er vor fast 2000 Jahren Rom brennen sah? Im Jahr 2016 ist es Gina Haller, die in der gläsernen Kartenausgabe des Stadtmuseums Simeonstift sitzt und durch ein Mikrofon den Text von Martina Clavadetscher vorträgt, während ihre Schauspielkolleginnen Ronja Oppelt und Juliane Lang ihre Worte mit einem weißen Edding auf der Glasscheibe mitschreiben.
"Nero" heißt das Stück mit Texten von sieben Autorinnen, die sich in kurzen Passagen einem Herrscher annähern, der zu seinem eigenen Mythos geworden ist, zu einem Schreckgespenst der Historie und gleichzeitig einem Magneten der Aufmerksamkeit. Die Forschung geht nicht mehr davon aus, dass Nero das Feuer in Rom selbst gelegt hat. Umstritten ist, ob er seine schwangere Geliebte wirklich durch einen Fußtritt in den Unterleib tötete. Unumstritten bleibt, dass sein Verhalten den Nährboden für das Aufkommen solcher Gerüchte lieferte und bis heute befüttert. Haller, Oppelt und Lang beleuchten in ihrem Spiel diesen Nährboden: als seine erste Frau Oktavia zerlegt Lang den selbsternannten Künstler Nero, als treusorgende Staats-Mama mit Entertainerzügen degradiert Oppelt Nero in seiner Funktion als Führungsoberhaupt, und als Nero selbst tritt Haller als willkürlicher, machtbesessener, echsenhafter Egozentriker auf.
Doch wer jetzt denkt, er sieht ein Stück, das sich in einem Atemzug nur um Nero dreht, der irrt. Es ist ein wortgewaltiges Stück, dass sich einem freigewählten Sachverhalt mal nähert und einzelne Details beleuchtet, mal den Kaiser in einem Aspekt zerlegt und als Schreckbild wieder zusammensetzt. "Ich bin schließlich nur Partikel", sagt Haller im Glaskasten, und Oppelt schreibt sich schnell ein paar Stichpunkte mit. Mit dieser Geste schaffen die Schauspielerinnen den Spagat zwischen Historie und Geschichtsschreibung: Nero als historische Figur und die"Gestalt aus Wortskelett", wie Haller es nennt, das in den Geschichtsbüchern überlebt hat, trennt eine Brücke aus Daten, Gerüchten, und den wahren Kernen in diesen. Den Rest besorgt der Aufführungsort: die Hallen, Treppenhäuser und Gänge des Stadtmuseums Simeonstift, die Ausstellungsräumlichkeiten werden größtenteils umgangen. Es geht um eine Rekonstruktion Neros, darum ein Gefühl für die Person und das Leben mit und unter dieser zu bekommen.
Wie Oppelt mit einem Megaphone durch die Balkonerie des musealen Innenhofs rennt, die Türsteher-Sequenz von Lang oder das lebendige Stillleben von Haller, mögen recht weit weg von dem eigentlichen Thema führen. Überschneidungen mit Nero bleiben nur in dem bitteren Nachgeschmack ihrer Parts: Geltungssucht, Machtgehabe und Fake-Existenzen.
Den Abschluss bilden die drei mit einer Rede Neros, mit der er seinen Kopf selbst aus der Schlinge zieht, nachem man ihn für die Brandstiftung Roms angeklagt hat. Das daraus entstehende Bild erinnert an die Erinnyen der griechischen Antike, die rasend auf Rache aus sind. Auf Vergeltung an einer Bevölkerungsgruppe, die sich nicht integrieren mag, den Rest der Bürger als "Ungläubige" betitelt und einer Illusion eines Gottes nachläuft: den Christen. Der Brand Roms wird zu einem terroristischen Akt einer Minderheit in einer bestehenden Gesellschaft und damit zum hochaktuellen Stoff. Die Inszenierung von Julia Wissert öffnet sich der Zeitlosigkeit, verortet Nero in einem Gedankenkonstrukt, der ihn als Person griffig und gleichzeitig unantastbar macht. Am Ende bleibt von Nero nur eine Ahnung, so als hätte er gerade den Raum verlassen. Die Ausstattung von För Funkel mit grauem A-Linienkleid (Haller), schwarzem Samt-Jumpsuit (Oppelt) und goldener Bluse (Lang) erscheint passend, wenn auch etwas beliebig.
Weitere Aufführungen: 19. Mai, 24., 25., 27. Mai und 2. Juni.

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