Frivoler Oscar, brave Christl

TRIER. In wenigen Tagen hat die Operette "Der Vogelhändler" Premiere, die zweite Musiktheaterproduktion der Saison nach dem erfolgreichen "Maskenball". Die Sopranistin Evelyn Czesla hat in beiden Produktionen gleich zwei Hauptrollen mit völlig unterschiedlichen Anforderungen übernommen - ein kniffliger Job.

Morgens, bei der Probe, ist sie die brave Briefchristl, die in ihrem Tiroler Bergdörfchen auf die Heirat mit dem Vogelhändler Adam wartet. Abends tobt und tanzt sie als frivoler, glatzköpfiger Derwisch "Oscar" im "Maskenball" über die Bühne. An manchen Tagen singt sie um 10 Uhr den betulichen Evergreen über die "Christl von der Post", um 20 Uhr meistert sie die halsbrecherischsten Verdi-Koloraturen. Was andere in den Wahnsinn treiben würde, macht Evelyn Czesla so richtig Spaß. "Die dauernde Umstellung ist eine tolle Herausforderung", sagt die Sopranistin. Und dass die Stimme bei dem vielfältigen Repertoire völlig unterschiedlichen Belastungen ausgesetzt ist, "tut ihr eigentlich gut". Seit zwei Spielzeiten ist sie für das Fach der Soubrette in Trier engagiert. In großen Häusern ist man damit weitgehend auf Operetten und leichteste Opernrollen festgelegt, in einem kleinen Haus wie Trier ist das Spektrum deutlich breiter. So mauserte sich Evelyn Czesla als "Despina" in "Cosi fan tutte" und als "Adele" in der "Fledermaus" mit reichlich Spielfreude und solider Gesangstechnik zu einem echten Publikumsliebling, wie man den Ovationen der Zuschauer unschwer ablauschen konnte. Ihre Berufswahl verdankt sie einer Tante, die ebenfalls "vom Fach" war und sie ab dem vierten Lebensjahr mit ins Theater nahm. "Das ist meine Welt", war ihr schon früh klar. Aber nach dem Abi in Detmold sollte es erst mal eine solide Berufsausbildung sein, freilich mit musikalischem Bezug. In Mittenwald lernte sie das Handwerk der Geigenbauerin. Ihr Werkzeug hat sie heute noch, "man weiß ja nie".Die Sehnsucht nach der Bühne blieb

Aber die Sehnsucht nach der Bühne blieb, und so hängte sie an die Lehre ein Gesangsstudium in Frankfurt an. Doch mit dem Diplom in der Hand standen Evelyn Czesla keineswegs alle Türen offen. Keine Solistenstelle in Sicht - da bot der Opernchor am Theater Darmstadt eine halbwegs sichere Perspektive. Allerdings auch eine "chronische Unterforderung", wie die Sängerin rückblickend sagt. Sechs Jahre blieb sie in der zweiten Reihe, interessierte sich aber immer wieder mal für Jobs an anderen Häusern. Eines Morgens, als sie zufällig bei ihrer Agentur anrief, sagte man ihr, dass bei einem Vorsingen in Trier jemand abgesprungen sei. Ob sie kurzfristig einspringen könne? Sie wusste nicht mal, dass es dort ein Theater gab. Wann der Termin denn sei? Leider schon heute Nachmittag. Kurzentschlossen machte sie sich auf den Weg, abends hatte sie den begehrten Job. Ein Glücksfall für beide Seiten, wie sich bald herausstellte. Das Trierer Theater hatte Vertrauen in die Fähigkeiten der Neuen, und Evelyn Czesla brachte genug Selbstvertrauen mit, um die Erwartungen nicht zu enttäuschen. Seither ist sie aus dem Ensemble nicht mehr wegzudenken. Ihre Rollenporträts überzeugen, vielleicht weil sie ein Produkt konstruktiver Auseinandersetzungen mit den Regisseuren sind. "Es ist schön, Rollen mit zu kreieren", sagt sie. "Spontan von mir aus was anbieten" liege ihr mehr als "einfach abzuwarten, was der Regisseur vorgibt". Mit der Spontaneität hat sie's auch im Privatleben. Als für die Wohnungsdekoration Bilder fehlten, kaufte sie Acryl-Farbe und Leinwand und malte sich ihre Bilder selbst. Ansonsten bleibt für Hobbys wenig Zeit, und wenn, dann liegen sie nicht weit vom Beruf entfernt. Evelyn Czesla liebt Barockmusik, in Darmstadt hatte sie ein eigenes Ensemble formiert. Daran ließe sich vielleicht auch in Trier anknüpfen, immerhin boomt diese Sparte überall im Lande. Aber erst einmal müssen Eurydike, Poppea oder Dido warten, denn die Christl von der Post im "Vogelhändler" hat am 13. November Premiere. Mit Thomas Kießling (Titelrolle), Annette Johansson, Angelika Schmid, Nico Wouterse, Eric Rieger, Peter Koppelmann und Regisseur Jörg Fallheier probt Evelyn Czesla zurzeit vor allem die Dialog-Szenen. Für Sänger manchmal eine echte Plackerei, zumal die Truppe unter erkältungsbedingten Ausfallerscheinungen leidet. Da hilft der "geborenen Optimistin" Czesla bisweilen ihr Wahlspruch: "Es ist so wie es ist". Und das klingt schon fast wie eine Operetten-Arie. Karten: 0651-7181818

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