Funkelnde Auseinandersetzung

Zu den bislang spektakulärsten Projekten des Kulturhauptstadt-Jahres gehört die Welturaufführung einer Auftragsoper des Komponisten Jonathan Harvey und des Autors Jean-Claude Carrière. "Wagner Dream" beschäftigt sich in einer Mischung aus Musiktheater und Schauspiel mit den letzten Stunden im Leben von Richard Wagner. Zur Premiere am Samstag kamen Theaterleiter und Kritiker aus ganz Europa.

 Zwei Welten: Buddha (Dale Duesing, rechts) und der verzweifelt um sein Stück kämpfende Komponist (Johan Leysen). Foto: Theater Luxemburg

Zwei Welten: Buddha (Dale Duesing, rechts) und der verzweifelt um sein Stück kämpfende Komponist (Johan Leysen). Foto: Theater Luxemburg

Luxemburg. Man kann sich leichtere Aufgaben vorstellen als die Vertonung des Todes eines der berühmtesten Komponisten der Welt. Da droht der "Lebensfilm" mit textlichen und musikalischen Zitaten aller Art, oder man könnte leicht ins Stolpern geraten auf dem schmalen Grat zwischen Distanz, Respekt und Heldenverehrung.Der Brite Jonathan Harvey und der Franzose Jean-Claude Carrière gehen allen Gefahren intelligent aus dem Weg, indem sie Wagner auf dem Totenbett eine Erfahrung machen lassen, die auf den ersten Blick mit seinem Werk nicht das Geringste zu tun hat: Er erlebt eine Art buddhistische Parabel. Doch mehr und mehr schält sich heraus, dass die Geschichte um die junge Inderin Prakriti, die verbotenerweise den Mönch Ananda liebt, fast alle Zutaten von Wagners großen Themen hat: Erfüllung und Entsagung, Liebe und Opfer, Regeln und Revolte. Und war da nicht tatsächlich eine Oper über eine buddhistische Legende, die Wagner immer schreiben wollte und nie zustande bekam? Harvey/Carriére lassen ihn dies verpasste Meisterwerk in seiner letzten Stunde erleben.Regisseur Pierre Audi und Bühnengestalter Jean Kalman kontrastieren die Welten mit höchstem Geschick: in düsterem und strengem Schwarz-Weiß Wagners venezianischen Palazzo, in prächtigen Gelb-Orange-Tönen die indische Fabelwelt. Superbes Licht, eine - an Robert Wilson erinnernde - stark symbolistische Personenführung: Das hinterlässt tiefe Eindrücke beim Publikum.Spannungsgeladene Musik

Die Inszenierung greift exakt die Intentionen von Harvey auf, der die beiden Erzählebenen gleichfalls strikt getrennt hat: Im Hause Wagner wird nicht gesungen, die Rollen werden von Schauspielern verkörpert, allen voran der herausragende Johan Leysen als verzweifelt um sein gescheitertes Stück kämpfender Komponist. Sie deklamieren im Zwiegespräch mit einer spannungsgeladenen, bisweilen an den Rand der Geräuschkulisse tendierenden Musik Carrières mächtige Texte.In Fernost hingegen wird gesungen, und zwar mit nachgerade melodiösen, poetischen Singstimmen, die sich über den atonalen Orchesterpart erheben. Der Komponist besorgt die Computersteuerung, und das Ensemble Ictus mit seinem Dirigenten Martyn Brabbins begeistert durch ein Höchstmaß an Präzision und das extrem kontrastreiche, die Handlung prächtig illustrierende Klangbild. Sängerisch hat die Besetzung Weltniveau, mit Claire Booth (Pakriti) und Dale Duesing (Buddha) als Eckpfeiler eines darstellerisch wie musikalisch gleichermaßen überzeugenden Ensembles.Aber wie hält es Harveys Wagner nun mit Erfüllung und Entsagung, mit Last und Lust? Im buddhistischen Märchen darf die Liebende ihrem Mönch folgen, aber nur unter Verzicht auf die Sexualität. Die triebhaften Seiten des Lebens werden einfach abgetötet, und die Seligkeit ist nicht mehr weit. Fast glaubt man schon, auch der sterbende Wagner gäbe sich mit dieser Erkenntnis zufrieden, da erhebt er sich nochmal vom letzten Lager und schreit in wunderbarer Doppeldeutigkeit mächtig in den Raum: "That is not my work." In der Tat: Das Märchen von Prakriti ist nicht sein Werk, und die Quintessenz ihrer Geschichte ist nicht die Quintessenz von Wagners Lebenswerk. Ironische Schlusspointe einer funkelnden Auseinandersetzung mit einem großen Künstler. Weitere Aufführung im Luxemburger Grand Théatre am 30. April, 20 Uhr. Karten nur mit viel Glück an der Abendkasse. Die Produktion ist im Juni in Amsterdam zu sehen.

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