Futter für das menschliche Hirn

"A

 Füttern das Hirn: Die Objekte der Ausstellung „All we need“. Foto: Eva-Maria Reuther

Füttern das Hirn: Die Objekte der Ausstellung „All we need“. Foto: Eva-Maria Reuther

ll we need is love" — sangen die Beatles. "All we need" steht in dicken weißen Buchstaben auf der grauen Mauer. Das grandios-hässliche Umfeld freilich signalisiert, dass es mit der Liebe allein nicht getan ist, wenn es um menschliche Bedürfnisse geht. Mit den Grundbedürfnissen unseres Daseins befasst sich eine Super-Schau in der einstigen Gebläsehalle des Stahlwerks von Belval. Belval ist ein Vorort von Esch-sur-Alzette, der dabei ist, seine Industriebrachen in ein Zentrum für Kultur, Wissenschaft und Bildung zu konvertieren. Und das mit beeindruckendem Erfolg. Auch die aktuelle Ausstellung "Was wir Menschen brauchen" ist Teil dieser Erfolgsgeschichte. Die Schau ist mit das Beste, was bislang an Ausstellungen in Luxemburg im Kulturjahr zu sehen war. Die Grundidee ist so einfach wie überzeugend. Was hier thematisiert wird, ist die klassische "Eine-Welt-Problematik". Dekliniert wird der Katalog der menschlichen Grundbedürfnisse. Dem idealtypischen Anspruch steht die Fragwürdigkeit des Ist- Zustands gegenüber. Bei der Planung haben die Ausstellungsmacher den Bedürfniskatalog des chilenischen Ökonomen und Alternativ Nobelpreisträgers Manfred Max-Neef zu Grunde gelegt, der Grundbedingungen der menschlichen Existenz auflistet: Muße, Überleben, Freiheit, Liebe, Identität, Schutz, Kreativität und Beteiligung. Sie bilden die Stationen des Ausstellungsrundgangs. Da Menschen — anders als Tiere — über die fassbare Realität hinaus denken können, wurde Max Neefs Liste noch um die Grundbedingung "Transzendenz" erweitert. Quasi als Ausblick ist eine zehnte Station der "Vision" gewidmet. Was diese Schau so außerordentlich sehenswert macht, ist nicht das Denkmodell, sondern seine künstlerische Umsetzung. Allein der Ort ist Installation und Ausdruck menschlicher Verhältnisse, wie er nicht eindringlicher sein könnte. Die gigantische Halle hat nichts an Echtheit verloren. Einzig ein paar Reinigungskräfte und ein paar Sicherheitstechniker waren unterwegs. Statt nostalgischer Industrieromantik vom Designer ist in Belval unmittelbar und atemberaubend die Verbindung von technischem Fortschritt und menschlicher Bedrückung zu erleben. Die verstaubten abgeschleppten Autos im rechten Hallenteil, die ihre Besitzer nie abgeholt haben, wirken darin wie eine Karikatur unserer Waren-Wunderwelt. Aber auch sonst sind Inszenierung und künstlerische Umsetzung, der Dialog zwischen Wunsch und Wirklichkeit, mehr als gelungen. "Nehmen Sie sich ein bis eineinhalb Stunden Zeit", hatte die Dame am Empfang empfohlen. Der zeitliche Aufwand lohnt sich. Allein der Sandstrand zu Beginn (Muße) mit dem Meer aus 44 000 Wasserflaschen ist umwerfend. Wer sich die Fotos von überfüllten Stränden und Skipisten daneben ansieht, wird sich die Frage, wer wir eigentlich sind, ebenso stellen wie beim Anblick der Videos zur Fischproduktion in Afrika. Überlebt wird in Belval nicht mehr in einer Arche, sondern in einer Rakete. Den romantischen Love-Song konterkarieren die Berichte Luxemburger Prostituierter. Was kein Politiker schafft, vermögen ein Paar Baumwollröhren: Als modischer "universal soldier" schaffen Jeans Welt-Identität. Viel zu sehen, manches zu lachen und viel mitzumachen gibt es bei dieser Schau, bequeme Schuhe sind zu empfehlen. Was man vermisst, ist eine zusätzliche Station "Geld". Das mag in Luxemburg ein heikles Unterfangen sein, besonders wenn es auch um Zuschüsse geht. (er)Bis 28. Oktober, Di - So 11-19 Uhr, Do 11-21 Uhr, Mo gschl., Di - Fr ab 9 Uhr, Klassen nach Anmeldung, Info-Telefon: 00352/26622096, www.allweneed.lu

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort