Gänsehaut-Momente

TRIER. Jens Förster, heute Psychologie-Professor in Bremen, war in den Neunzigern die faszinierndste Figur der Trierer Chanson- und Cabaret-Szene. Für die Produktion seiner CD "Phoenixfedern" kam er nach Trier zurück und nutzte die Gelegenheit, seinem Stamm-Publikum das Werk persönlich vorzustellen.

"Wer ihn hört, wird das Leben lieben lernen und seine ganze Wohnung blau anstreichen" - so schrieb Jens Förster in eigener Sache auf dem Cover seiner ersten CD "Perlen und Säue". Wer "Phoenixfedern" hört, neigt eher dazu, die Wände schwarz zu tünchen, sich einen schweren Rotwein einzugießen und ein Röhrchen Veronal darin aufzulösen. Zwischen wunderbarer Melancholie und tiefer Depression schweben die meisten der 21 Titel, die Förster bei seinem Konzert in der Tufa fast komplett vorstellte. Nichts mehr zu hören vom bunten Paradiesvogel, der spielerisch die Geschlechtergrenzen verwischte, Cabaret-Klassikern neues Leben einhauchte, Schubert- und Schumann-Lieder parodistisch zersang und einen Bogen von Sinatra bis "Les Miserables" spannte. Und auch nichts mehr zu sehen. Ernsthaft, angespannt, in strengem Schwarz steht der 37-Jährige auf der Bühne, die unübersehbaren Geheimratsecken nicht mehr von langen blonden Locken verdeckt, allenfalls mild durch die Scheinwerfer-Platzierung kaschiert. Keine Show, keine Pose, kaum Conferencen, kein roter Faden. "Das mache ich nicht noch mal", sagt er fast entschuldigend - dabei hat der Verzicht auf alles Theatralische durchaus gute Seiten, stellt er doch die musikalische Substanz in den Mittelpunkt, und die kann sich hören lassen. Wenn Förster redet, dann fast immer übers Altern, das ihm offenbar schwer zu schaffen macht. Das letzte Mal, beim Programm "Niemandsrose", klang das noch selbstironisch, diesmal klingt es eher nach Midlife-Crisis, ein Phänomen, das schwule Ikonen offenbar früher erreicht als Durchschnitts-Männer. Aber Försters Blues beschert gleichermaßen Gänsehaut-Momente. An die Stelle lustvoll ausgekosteter Larmoyanz tritt eine Traurigkeit, die, wäre sie authentisch, zu Sorgen um den Künstler Anlass gäbe. In "Allerseelen", das Förster gemeinsam mit seinem Pianisten Norbert Lauter geschrieben hat, geht es um den Tod, "Minas Lied" zeichnet eine scheiternde Liebesgeschichte nach. Schuberts "Gretchen am Spinnrade", Brahms' "Die Meere" (das Duett mit der fantastischen Katharina Bihler ist allein den Abend wert): Da geht es nicht um frech-fröhliches Zitieren, das ist nachgefühlte musikalische Romantik.Dem Vergessen entrissen

Die Entwicklung lässt sich am Besten an Brels "Ne me quitte pas" verfolgen, das auf beiden CDs vertreten ist. Wo einst dick aufgetragen wurde, gibt es jetzt einen packenden, von aller Exaltation befreiten, filigranen Dialog zwischen Förster und Norbert Lauter - nicht nur pianistisch ein Solitär.Für mehrere Titel kommt der Trierer Gitarrist und Bratschist Daniel Poschta hinzu, was die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten erheblich erweitert. Davon profitieren vor allem Titel wie Laras unverwüstliches "Piensa en mi", dessen mediterrane Melancholie Förster besser trifft als beispielsweise Placido Domingo oder Ruben Blades.Immer wieder lohnenswert: die musikalischen Entdeckungen. Förster entreißt die Hurenballade "Bladdy Groth" dem Vergessen, die Claus Clausberg nach einem Text des im KZ ermordeten Dichters Jakob von Hoddis komponierte. Brittens eindrucksvoller "Funeral Blues" aus dem raren Zyklus der "Four Cabaret-Songs" ist ebenso vertreten wie die sehnsüchtige Titelmelodie zu George Cukors Melodram "Wild is the wind". Nicht zu vergessen das (umgetextete) "Kirschenbaum-Lied" aus der Operette "Der Vogelhändler" - ein schlüssiger Beweis, dass es beim Komponisten Carl Zeller zwischen der Christel von der Post und den Rosen aus Tirol mehr zu finden gibt als Alpen-Schmalz.Konsequent die Zugabe: Hollaenders "Wenn ich mal tot bin" aus dem Zyklus "Lieder eines armen Mädchens". Alles passte, nur nicht das Wetter: Beim Verlassen der Tufa erwarteten ein sternenklarer Himmel und frühlingshafte Temperaturen den Besucher. Nach dieser musikalischen Winterreise hätte man Nieselregen und Frost als angemessener empfunden.Die CD "Phoenixfedern" ist im Musikhaus Reisser erhältlich. Infos: www.jensfoerster.de und www.tete-a-tete-ev.de

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